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12.01.2021 Einzelhandel: Lockdown nutzen, um sich zukunftsfähig aufzustellen

Das Corona-Jahr hat den stationären Einzelhandel nach Beobachtungen von Aengevelt Research schwer getroffen: Allein in der Woche vor dem vierten Advent, normalerweise die umsatzstärkste Woche des Jahres, verloren die Innenstadthändler nach Erhebungen des Handelsverbands Deutschland 56 Prozent ihres Vorjahresumsatzes. Besonders hart getroffen hat es den Bekleidungshandel, der fast drei Viertel seines Umsatzes einbüßte. Spiegelbildlich zu den Verlusten des stationären Einzelhandels, insbesondere in den Innenstädten, boomte allerdings der Online-Handel. Lag der Anteil des Online-Handels im Nonfood-Bereich im Jahr 2019 noch bei rund 16%, so ist er nach Angaben der GfK während des ersten Lockdowns Ende März/Anfang April auf bis zu 46% gestiegen, um dann während der Lockerungen im Sommer wieder zu sinken, aber immer noch oberhalb der Vorjahreswerte zu bleiben. Auch insgesamt ist der Umsatz des Onlinehandels nach Schätzungen des Statischen Bundesamtes von Januar bis November 2020 um mehr als 23% gegenüber dem Vorjahr gewachsen (2019 vs. 2018: +7,4 %).

Entsprechend sieht Aengevelt Research akuten Handlungsbedarf, denn der stationäre Einzelhandel stand bereits vor der Corona-Pandemie unter Druck: Schon vor dem Virus wurden innerhalb von fünf Jahren 7% der Einzelhandelsstandorte geschlossen, während der Online-Handel stetig zugelegt hat. Für die Innenstädte kann dies dramatische Folgen haben, weil Geschäftsschließungen Abwärtsspiralen auslösen.

Dazu Matthias Brinkmann von Aengevelt Research: „Wenn sich das Angebotssortiment verkleinert, sinkt die Attraktivität der City für die Kunden. Die Folge sind weitere Umsatzverluste. Leerstehende Ladenlokale, Desinvestition und städtebauliche Verfallserscheinungen beschleunigen die Talfahrt. Typischerweise sind die Zentren kleinerer und strukturschwacher Städte sowie Stadtteilzentren zuerst betroffen.“

Die Lockdowns haben sich aus Brinkmanns Sicht dabei als klare Trendbeschleuniger erwiesen. Die Zahlen zeigen, dass die Verbraucher zwar wieder in die Innenstädte strömen, wenn der Lockdown aufgehoben wird. Ein signifikanter Teil der Konsumenten wird indessen beim Onlinehandel bleiben, nachdem er gezwungenermaßen (positive) Erfahrungen mit dem Einkauf im Internet gesammelt hat. Man könne deshalb nicht darauf vertrauen, dass es nach Überwindung der Pandemie zu einer Normalisierung komme.

Von rein stationär zu Multichannel

Deshalb empfiehlt Aengevelt Research den stationären Einzelhändlern, die durch den gegenwärtigen Lockdown erzwungene Pause zu nutzen, um sich zukunftsfähiger aufzustellen. Dazu gehört, selber in den Onlinehandel einzusteigen. Ein Drittel der stationären Einzelhändler ist bereits im Internet präsent – diese Quote wird bzw. muss sich nach Einschätzung von Aengevelt massiv steigern. Dies kann stufenweise erfolgen: über Online-Werbung und Online-Beratung, Online-Bestellung mit Abholung der Waren bis zum vollständigen Online-Versandhandel mit Anlieferung.

Allerdings ist der Einstieg in den Internet-Handel alles andere als trivial: So muss eine Internet-Präsenz aufgebaut werden, inklusive Einstellung hochwertiger Fotos sämtlicher Waren, Vorkehrungen gegen Scheinbestellungen, Einrichtung von Kommunikations-, Beratungs- und Bewertungsdiensten, Aufbau eines Retourenmanagements etc.

Den Kunden bieten, was das Internet nicht leisten kann

Auf der anderen Seite sollte der stationäre Einzelhandel die Corona-Zwangspause aber auch nutzen, um sich selber in Zukunft besser gegen die Konkurrenz im Internet zu behaupten. „Der stationäre Einzelhandel“, sagt Prof. Dr. Volker Eichener von der Hochschule Düsseldorf, „muss den Kunden etwas bieten, was das Internet nicht bereitstellen kann, nämlich besondere Erlebnisse, Erfahrungen für alle Sinne – Fühlen, Riechen, Schmecken, Sehen, Hören, Menscheln – und die Möglichkeit, den Einkauf mit anderen angenehmen Aktivitäten zu verbinden.“

Im Einzelnen haben Einzelhändler folgende Möglichkeiten, sich gegenüber dem Online-Handel abzuheben:

• Waren so präsentieren, dass man sie ansehen, anfassen, ausprobieren, anprobieren, mitunter auch riechen und schmecken kann.
Das Internet bietet nur Abbildungen. Beschränkt sich der Einzelhandel auf die Präsentation seiner Waren im Schaufenster und auf dem Regal, hat er deshalb noch nichts gewonnen. Erprobungsstrecken und -geräte im Sportgeschäft, die Probe im Lebensmittel- und Getränkehandel, die Probefahrt beim Fahrradhändler oder das Blättern beim Buchhandel sind Beispiele für Erfahrungsmöglichkeiten, mit denen das Ladenlokal seine Vorteile ausspielen kann.

• Das Ladenlokal selbst zu einem Erlebnisort entwickeln.
Bei der Urlaubsreise in andere Länder stellt oftmals der Besuch von Läden oder Marktständen voller interessanter Gegenstände, voller Gerüche, voller Klänge ein attraktives Reiseerlebnis dar. Wenn es gelingt, diese besondere Atmosphäre nachzuempfinden, z.B. durch landestypische Einrichtungen oder Spezialitäten zum Probieren etc., wird der Besuch zum Kurzurlaubstrip.

• Die menschlichen Kontakte im stationären Einzelhandel als USP fördern.
Die face-to-face-Kommunikation von Inhaber / Verkaufspersonal mit den Kunden oder auch zwischen Kunden, beispielsweise Fachsimpeleien, können ebenfalls einen Anreiz zum Besuch im Ladenlokal darstellen. So kann allein die Kommunikation mit dem alteingesessenen Inhaber, der eine Koryphäe in seinem Segment ist, ein Grund sein, einen ganz bestimmten Laden aufzusuchen.

• Das Einkaufserlebnis orchestrieren.
Factory-Outlets, Wühltische, Schlussverkäufe, Sonderaktionen, aber auch trendige Pop-Up-Stores mit brandaktuellen Artikeln bedienen das Verlangen der Kunden, besondere Schnäppchen zu erobern oder auch temporären Zugriff auf Artikel zu erhalten, die sonst nur schwer im stationären Einzelhandel zu finden sind. Hier kann mit kontinuierlich wechselnden Aktionen der Anreiz für Kunden geschaffen werden, regelmäßig das Ladenlokal zu besuchen.

• Neben dem reinen Einkauf besondere Erlebnisse bieten.
Statt z.B. auf dem Bildschirm per Video-Konserve live im Sportgeschäft erleben, wie die (künstliche) Welle von einem Surfer “geritten“ wird, an der Kletterwand – gut gesichert und gefahrlos – spontan seine eigenen Fähigkeiten testen, oder direkt dabei sein, wie das persönliche Monogramm auf dem gerade gekauften Turnschuh oder der Reisetasche nach den Wünschen des Kunden aufgebracht wird: Das sind Erlebnisse über den reinen Einkauf hinaus, die das Internet nicht bieten kann.
Flexiblere Nutzung.

Die Immobilienspezialisten von Aengevelt raten auch zu einer effektiveren und flexibleren Nutzung der Handelsimmobilien: Indem im gleichen Ladenlokal parallel mehrere Produkt- und Nutzungsarten angeboten werden, können z.B. die Nutzungszeiten ausgeweitet werden und andererseits Flächenumsatz und -produktivität gesteigert werden.

Ein Beispiel ist die Buchhandlung, die zugleich Feinkost- und Weinhandlung, Café und Spielstätte für Kulturveranstaltungen ist. Oder das Haushaltswarengeschäft, das abends zur Cocktailbar mutiert. Oder die Eisdiele, die nachts zur Disko wird.
Gerade in der Kombination von Nonfood-Artikeln, originellen Speisen, Getränken, Musik und Events liegen noch deutliche Potentiale.

Nicht abwarten, sondern jetzt starten

Die vorgeschlagenen Maßnahmen können nur in Kombination wirken. Gleichzeitig erfordern sie neben Ideen und Kreativität einen erheblichen Zeit- und Arbeitsaufwand. Der aktuelle Lockdown bietet hierzu die Chance. Die Pandemie zwingt zum Handeln – und sie bietet dazu ein Zeitfenster. Nach der Krise wird es dagegen nicht leichter, sondern schwieriger.






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