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31.08.2020 Hybride Immobilien: Was bringt die Zukunft?

Der Corona-Lockdown zeigt, wie schnell neuer Bedarf an Raumnutzung entstehen kann. Welche Möglichkeiten schaffen hybride Nutzungskonzepte aber für die Innenstädte der Zukunft? Und welche rechtlichen Rahmenbedingungen sind dafür nötig? Der Gastautor Nicolas Deuerling, Partner der Real Estate Praxis in der internationalen Kanzlei Ashurst LLP über die Möglichkeiten hybrider Immobilien und die juristischen Herausforderungen für Post-Corona-Projektentwicklungen.

Aktuelle Immobilienprojekte wie das ONE FORTY WEST oder das Skylight in Frankfurt ebenso wie zahlreiche Architekturentwürfe für neue Formen multipler Nutzungen zeigen: Die klare Trennung zwischen Wohnen, Leben und Arbeiten wird städtebaulich wie architektonisch zunehmend aufgehoben. Diskutierte man allerdings bislang eher theoretisch über hybride Nutzungsmodelle als Möglichkeit der Belebung von (Innen-)Städten, schafft die Corona-Krise nun neue Denkräume, sowohl bei Entwicklern und Investoren, als auch bei Städten und Gemeinden.

Es ist absehbar, dass Wohnimmobilien von der Krise profitieren werden, während klassische Büroimmobilien und Retail ihre Stellung in Innenstädten mittelfristig neu definieren müssen. Home Office, der Lockdown und die allgemeine Krise des Einzelhandels haben die Situation der High Street maßgeblich verschärft. Hybride Nutzungen von Immobilien bieten hier Möglichkeiten, Räume neu zu definieren – wenn denn die rechtlichen Rahmenbedingungen dies zulassen.

Dies gilt auch für kurzfristige Umnutzungen bestehender Immobilien. Hier gibt es verschiedene neue Ansätze: Zum einen die Raumnutzung bei medizinischer Betreuung, Hotelzimmer könnten in Krisenzeiten als medizinische Räume in Betracht gezogen werden, um im Notfall mehr Kapazitäten für die Versorgung von Patienten zu schaffen. Zum anderen gibt es die Möglichkeit, Altersheime partiell in Hotels umzustrukturieren – um Angehörigen längere Aufenthalte zu ermöglichen – oder (umgekehrt) aus Hotels Altersheime zu machen.

Wir haben hierzu bereits Mandanten beraten. Und schließlich betrifft die Flexibilisierung auch das Thema Wohnen, da auch Gewerbeimmobilien in Innenstädten zu Wohnungen umgenutzt werden könnten. Die Idee hinter solchen Überlegungen, die sich auch auf andere Modelle übertragen lässt, ist es, gewerbliche Räume bei Gewinneinbrüchen durch alternative Geschäftsmodelle zu finanzieren. Wir brauchen solche flexiblen Raumlösungen, um auf die sich wandelnden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedarfe zu reagieren.

Es braucht mehr Offenheit seitens des Staates für hybride Immobilien und Mischnutzungen

Aktuell ist der bürokratische Aufwand bei innovativen, hybriden Projekten mit flexibler Raumnutzung jedoch sehr hoch. Das Baurecht sieht solche Immobilienformen nicht vor, entsprechend müssen Flächennutzungspläne, Bebauungspläne und Bestimmungen zur Gebäudestruktur angepasst werden. Dies kann nur erfolgen, wenn Städte und Gemeinden die positiven Aspekte hybrider Immobilien erkennen und ein politischer Wille vorhanden ist, hier stadtplanerische Anpassungen vorzunehmen. Die Corona-Krise kann dafür ein Ausgangspunkt sein. Zwar haben wir es hier mit einem sehr komplexen Themengebiet zu tun, das bislang in Deutschland wenig etabliert und rechtlich kompliziert ist, weil diverse baurechtliche Bestimmungen, Stadtentwicklungsvorgaben und politische Implikationen ineinanderspielen. Aber die Vorteile einer stärkeren Flexibilisierung liegen auf der Hand, sowohl für Entwickler, als auch für Städte und Gemeinden. Und letztlich schaffen wir es nur so, neue Antworten zu finden auf die universale Frage: Wie sieht die Zukunft unserer Lebens- und Arbeitswelt aus?

Corona hat uns gezeigt, dass wir in allen Teilen unserer Gesellschaft stärkere Flexibilisierung brauchen, um uns dem „neuen Normal“ anzupassen. Hierzu gilt es mit Blick auf die hybriden Immobilien, mit Städten und Gemeinden gemeinsam Konzepte zu erarbeiten, um mehr Wohnflächen durch flexible Nutzung zu schaffen, um den Stillstand im Bereich Retail und Office zu überwinden und um neue Mobilitätslösungen zu finden, indem die statische Trennung von Wohngebieten und Gewerbe- bzw. Mischgebieten aufgehoben wird.

Offener Diskurs für hybride Immobilienprojekte in Deutschland nötig

Wir als Kanzlei wollen herausfinden, welche Veränderungen innovative Konzepte erreichen können, welche langfristigen Auswirkungen durch Modellprojekte entstehen. Wir möchten einen Diskurs für das Thema hybride Immobilien in Deutschland eröffnen.

Die eingangs erwähnten vertikalen Hybridgebäude konnten mit ihrer Verbindung von Einkaufsmöglichkeiten, Kitas, Wohn-, Office- und Hotelräumen zeigen, was hybride Konzepte leisten konnten. Allerdings kopieren sie als Hochhäuser innovative Vorbilder aus Asien oder den VAE. Interessanter wäre es, neue, spezifisch europäische Lösungen zu finden, die diese hybriden Modelle in das städtische Gefüge integrieren. Damit könnte an historische Stadtmodelle angeschlossen werden, die seit dem Mittelalter Wohnen und Arbeiten eng miteinander verzahnt hatten. So könnte eine spezifisch europäische Stadt des 21. Jahrhunderts entstehen, die die Vorzüge der europäischen Stadtgeschichte nutzt, um Innenstädte zukunftsfähig zu machen.

Lange Zeit wurde in Diskussionen über neue Formen flexibler Nutzungsformen argumentiert, dass das System in seiner aktuellen Form funktioniert und es deshalb keiner kompletten Überarbeitung bedarf. Die Corona-Krise hat innerhalb kürzester Zeit das Gegenteil bewiesen und gezeigt: Es gibt einen Bedarf an neuen Konzepten – parallel dazu muss ein baurechtliches Umdenken folgen.

(Gastbeitrag von Nicolas Deuerling, Partner der Real Estate Praxis in der internationalen Kanzlei Ashurst LLP)







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