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26.08.2020 Viele Bauarbeiter können sich das Stadtleben nicht mehr leisten

Viele Bauarbeiter können sich das Wohnen in Städten oft nicht mehr leisten. Das ist das Ergebnis eines aktuellen „Lohn-Wohn-Checks“, den die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) für Baubeschäftigte gemacht hat. Die Gewerkschaft hat dazu das Pestel-Institut (Hannover) beauftragt, zu untersuchen, wie stark die Wohnkosten in deutschen Städten das Einkommen von Bauarbeitern belasten, denen lediglich der Bau-Mindestlohn von 12,55 Euro pro Stunde gezahlt wird. Betroffen hiervon ist nach Angaben der Gewerkschaft rund jeder vierte Baubeschäftigte. Insbesondere im Bau-Handwerk würden viele den deutlich höheren Tariflohn nicht bekommen und stattdessen „mit dem Mindestlohn abgespeist“. Die IG BAU präsentierte den „Lohn-Wohn-Check“ am heutigen Mittwoch in Berlin – unmittelbar vor der Auftaktrunde der Schlichtung im Tarifkonflikt für das Bauhauptgewerbe mit seinen bundesweit rund 850.000 Beschäftigten.

Das Ergebnis der Untersuchung: Wer als Bauarbeiter an der untersten, bundesweit einheitlichen Mindestlohngrenze arbeiten muss, für den ist eine Wohnung in zwei Dritteln aller großen Städte tabu. So sind Baubeschäftigte, die zwar Vollzeit arbeiten, aber nur den Bau-Mindestlohn verdienen, in 73 der 108 kreisfreien Städte in Deutschland nicht einmal in der Lage, eine 50-Quadratmeter-Wohnung anzumieten. „Bei ihnen würden die Kosten fürs Wohnen mehr als 30 Prozent vom Nettoeinkommen verschlingen – und damit oberhalb des Limits liegen, das für jede Haushaltskasse als ‚Miet-Schmerzgrenze‘ gilt. Damit können sich Bauarbeiter in vielen Orten, in denen sie Wohnungen bauen, selbst nicht einmal mehr eine ältere Wohnung leisten – von einer Neubauwohnung ganz zu schweigen“, kritisiert Robert Feiger. Für den IG BAU-Bundesvorsitzenden „ein Zustand, der sich dringend ändern muss“.

Feiger fordert deshalb zum heutigen Start der Schlichtungsrunde im Bau-Tarifkonflikt ein deutliches Anheben des Lohnniveaus auf dem Bau – und zwar jetzt beim Tarif- und zum Jahresende dann auch beim Mindestlohn der Branche. Im Fokus hat der IG BAU-Chef dabei zunächst den Tariflohn: Dieser soll um 6,8 Prozent steigen – mindestens aber um 230 Euro pro Monat, um gerade die unteren Lohngruppen anzuheben. Azubis aller Ausbildungsjahrgänge sollen 100 Euro mehr bekommen. Damit will die Gewerkschaft den Bau für den Nachwuchs attraktiver machen. Zudem fordert die IG BAU eine Entschädigung für die Zeit, die Bauarbeiter bei oft langen Fahrten zur Baustelle verlieren. „Bessere Lohn-und Arbeitsbedingungen sind die Voraussetzung dafür, dass die Bauunternehmen den Bauboom, den die Branche trotz der Corona-Krise erlebt, überhaupt stemmen können“, so Robert Feiger.

Die Arbeitgeber haben bislang in drei ergebnislos verlaufenen Tarifverhandlungen kein Angebot auf den Tisch gelegt. Die IG BAU spricht von „Blockadehaltung“. Sie drängt Bauhandwerk und Bauindustrie, beim Lohn und Gehalt „endlich eine ordentliche Schippe draufzulegen“. Angesichts voller Auftragsbücher sei dies wirtschaftlich für Bauhandwerk und Bauindustrie „nicht nur machbar, sondern ein Muss, um in die Zukunft der Branche zu investieren – um Fachkräfte zu gewinnen und halten zu können“. Dem Bau-Tariflohn müsse dann der Mindestlohn der Branche konsequent folgen. „Wer auf dem Bau seine 40-Stunden-Woche macht, der muss sich auch ein Leben in seiner Stadt leisten können. Wenn Arbeitgeber der Bauwirtschaft ihre Beschäftigten ‚per Lohn-Diät zu Outsidern der Stadt‘ machen, dann bietet der Bau den Menschen nicht die berufliche Heimat, die sie suchen“, sagt Robert Feiger. Die Gewerkschaft werde alles daransetzen, um das zu verhindern.

Hier spiele der Tariflohn die entscheidende Rolle. Der IG BAU-Bundesvorsitzende appelliert an die Baubeschäftigten, sich „nicht länger mit dem Bau-Mindestlohn abspeisen zu lassen“. Sein Tipp: „Unbedingt ein Unternehmen suchen, das den Tariflohn bezahlt. Und diesen dann auch selbstbewusst einfordern.“ Branchen-Mindestlöhne seien für den Bau „zwar wichtige Lohn-Haltelinien, aber nicht das Standardmaß für die Lohntüte“.

Das mache auch der „Lohn-Wohn-Check“ des Pestel-Instituts noch einmal eindringlich deutlich: Dieser weist für 22 Städte eine sehr kritische Wohn-Option für Mindestlohnbeschäftigte des Baus aus. Dazu gehören: Augsburg, Berlin, Bonn, Darmstadt, Düsseldorf, Erlangen, Hamburg, Heidelberg, Ingolstadt, Köln, Karlsruhe, Landshut, Mainz, Mannheim, Münster, Offenbach, Potsdam, Regensburg, Rosenheim, Ulm, Wiesbaden und Würzburg. In diesen Städten müssten, so die Untersuchung, Bauarbeiter, die zum bundesweit einheitlichen Bau-Mindestlohn arbeiten, mehr als 40 Prozent ihres Nettolohnes allein für das Wohnen ausgeben. Besonders drastisch ist es in München (70 Prozent), Stuttgart (60 Prozent), Frankfurt am Main (58 Prozent) und Freiburg im Breisgau (51 Prozent): „Hier ist zum Teil deutlich mehr als die Hälfte des Einkommens fürs Wohnen fällig. Diese Top 4 haben sich damit längst zur ‚No-rent-Area‘ für Bauarbeiter mit Branchen-Mindestlohn entwickelt“, so Feiger.








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