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27.04.2020 Nicht ob, sondern wie sich die Wirtschaft erholt, ist entscheidend

Die COVID-19-Pandemie führt in allen Lebensbereichen zu historischen Auswirkungen. Auch die Folgen für die Ökonomie und die Kapitalmärkte sind massiv. Laut Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management in Frankfurt, wird 2020 wohl als ein Jahr der Krise und der Rezession in die Geschichtsbücher eingehen – doch bei einer weitgehenden Beherrschung der Pandemie sobald ein weltweit zugänglicher Impfstoff verfügbar ist, sei mit einer Erholung beim Wirtschaftswachstum zu rechnen.

Gleichwohl dürften die Folgen aufgrund der hohen Verschuldung von Staaten und Unternehmen noch auf viele Jahre spürbar sein. „Anleger sollten in diesem Umfeld eine balancierte Risikostruktur im Portfolio haben, um einerseits von einem möglichen ungünstigen und langwierigen Verlauf der COVID-Krise nicht aus der Bahn geworfen zu werden, und andererseits für eine starke Erholungs-Rallye nach der Krise gewappnet zu sein. Denn auf mittelfristige Sicht ist nach der Erholungs-Rallye sowohl bei Aktien als auch bei Anleihen mit deutlich geringeren Erträgen zu rechnen“, betont Tilmann Galler. Die Konsolidierungsbemühungen der Staatshaushalte und die Versuche der Normalisierung der Geldpolitik werden laut dem Experten ihre Spuren auch in den Kapitalmärkten hinterlassen.

Massive Reaktion von Staaten und Zentralbanken

Als historisch einmalig sieht der Experte die Reaktion der Staaten und Zentralbanken an. Die Fiskalprogramme der USA beispielsweise belaufen sich auf annähernd 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in Deutschland sind es 4,5 Prozent. Diese Ausmaße sind teilweise doppelt so hoch wie bei der Finanzkrise. Auch auf der monetären Seite würden bisherige Grenzen gesprengt. Die amerikanische Zentralbank Fed hat erhebliche Kaufprogramme aufgelegt, die nun beispielsweise erstmals auch Unternehmensanleihen beinhalten. Damit trägt die Fed auch zur Finanzierung von Unternehmen bei. „Das Hauptziel der Zentralbanken ist die Sicherstellung von Liquidität an den Finanzmärkten – diese wird in diesem Jahr daher neue, massive Ausmaße annehmen“, erläutert Galler. Die Notenbanken werden den Märkten über 8 Billionen US-Dollar weltweit zur Verfügung stellen.

Buchstabenlehre: Markterholung als V, U, W oder L?

Die Nachhaltigkeit der Markterholung wird nach Ansicht von Tilmann Galler sehr stark davon abhängen, welchen Verlauf die wirtschaftliche Erholung nehmen wird. Zurzeit seien vier Szenarien denkbar, die gern mit Buchstaben umschrieben werden: V, W, U oder L. „Sowohl das Szenario einer zügigen Erholung in Form eines ‚V‘ wie auch ein Szenario eines lang anhaltenden Abschwungs in Form eines ‚L‘ sind klare Außenseiterszenarien. Unser Kernszenario ist eine verhaltene, eher U-förmige Erholung aufgrund der Schwierigkeiten einer völligen Eindämmung der Corona-Pandemie in Abwesenheit eines Impfstoffes“, sagt der Kapitalmarktexperte. Das Risiko einer zweiten großen Infektionswelle, wie derzeit in Singapur, könnte zu einer W-förmigen Erholung führen und bleibt nach Meinung von Tilmann Galler ebenfalls ein nicht unwahrscheinliches Risikoszenario. Von der Hoffnung auf ein schnelles Ende der Krise müsse man sich in jedem Falle verabschieden.
Aktienmärkte derzeit zu optimistisch

Interessant ist nach Analyse von Tilmann Galler die Beobachtung, dass die Gewinnerwartungen der Unternehmen an den Aktienmärkten immer noch in die V-Richtung tendieren. Beispiel S&P 500: Seit dem Tief am 23. März ging es wieder stark bergauf. Der Marktstratege sieht Chancen für Aktienanleger, schlägt aber auch Molltöne an: „Es bleibt eine gewisse Skepsis mit Blick auf eine zu schnelle Kurserholung. Es passt nicht zusammen, dass ökonomisch eine U-förmige Erholung erwartet wird, während die Aktienseite eine V-förmige Erholung beschreibt.“ Die Betrachtung der Dauer für die Gewinnerholung in den vergangenen drei Rezessionen zeigt: Die schnellste vollständige Erholung erfolgte nach rund dreieinhalb Jahren. „Das, was derzeit im Markt bei der Gewinnentwicklung erwartet wird, haben wir in der Vergangenheit nicht gesehen“, sagt Tilmann Galler. So hält der Stratege die derzeitigen Prognosen, dass die Unternehmensgewinne Ende 2021 auf höherem Niveau als Ende 2019 seien, für sehr optimistisch.

Chancen auf der Zinsseite

Auch bei Anleihen hat es starke Bewegungen gegeben: Die Spreads bei Investment-Grade-Anleihen sind nach einem starken Anstieg am Anfang der Krise inzwischen wieder gefallen. Nach wie vor seien die Spreads noch erhöht, dürften nach Einschätzung von Tilmann Galler jedoch weiter fallen. „Es könnte lohnend sein, sich in diesem Segment zu engagieren“, sagt Galler, denn die Zentralbanken sorgen mit ihren Aufkäufen für Sicherheit. Die Lage im High-Yield-Bereich dürfte Anleger hingegen weiter herausfordern und es gelte, sehr selektiv vorzugehen. Insbesondere im Energiesektor seien die Ausfallrisiken sehr hoch. Man müsse im High-Yield-Bereich daher sehr stark auf Qualität und die Robustheit von Bilanzen achten. Bei den Emerging Markets sieht es nach Ansicht des Kapitalmarktexperten auf den ersten Blick nach attraktiven Renditen aus. Doch dieser Blick täusche – das Virus könnte gerade die Emerging Markets noch sehr hart treffen aufgrund von nicht flächendeckender Gesundheitsversorgung sowie eingeschränkter Testmöglichkeiten. „Trotz attraktiver Bewertungen betrachten wir Emerging-Markets-Anleihen momentan mit einer gewissen Skepsis“, sagt Galler. Im weiteren Verlauf der Pandemie werde es noch zu einigen Downgrades durch Ratingagenturen kommen, schätzt der Stratege.

Ölmarkt in historischem Ungleichgewicht

In diese Zeit voller Unsicherheit fallen nun auch noch historisch einmalige Entwicklungen am Ölmarkt: Reisebeschränkungen und Quarantänemaßnahmen haben allein im 1. Quartal die Ölnachfrage um 5,6 Millionen Barrel Rohöl pro Tag reduziert. „Den maximalen Einbruch werden wir weltweit im April und Mai erleben mit einem durchschnittlichen Einbruch der Nachfrage von 20 Millionen Barrel pro Tag. Das entspricht ziemlich genau 20 Prozent des täglichen weltweiten Bedarfs von 2019“, stellt Tilmann Galler fest. Der aktuelle Rückgang sei deswegen so stark, weil 58 Prozent der Ölnachfrage durch den Treibstoffbedarf für den Verkehr verursacht werden. Die Reisebeschränkungen haben allein bis März den weltweiten Flugverkehr um 30 Prozent einbrechen lassen und der Straßenverkehr ist durch Quarantänemaßnahmen um bis zu 40 Prozent zurückgegangen. Das hat zu einem starken Nachfrageeinbruch bei Kerosin, Benzin und Diesel geführt. Die Ölschwemme wurde zudem Anfang März noch verstärkt durch einen Preiskrieg zwischen Russland und Saudi-Arabien. Der Absturz des Ölpreises und die sich verschärfende Situation bei den Lagerkapazitäten haben nun zu einer historischen Vereinbarung zwischen der OPEC und den anderen großen Ölförderländern geführt. Trotz des Ausmaßes seien die Kürzungen aber wohl nicht genug, kurzfristig die Balance zwischen Angebot und Nachfrage wiederherzustellen.

Folgerungen für Anleger: für Nach-Bärenmarkt-Rallye wappnen

Nach Ansicht von Tilmann Galler wird die Jagd nach Rendite in den nächsten Jahren immer schwieriger. Investoren würden dadurch zunehmend in Segmente mit höherem Risiko gedrängt. Kurzfristiger sollten Anleger auf eine ausgewogene Mischung im Portfolio achten: Kassehaltung und Unternehmensanleihen mit hoher Qualität für die Defensive sowie Qualitätsaktien – Unternehmen mit niedrigem finanziellem und operativem Leverage – auf der Aktienseite.








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