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20.07.2018 Umfrage: Mehrheit der Berliner befürwortet Schrebergärten-Bebauung

Berlin braucht bis 2030 mindestens 194.000 neue Wohnungen, um mit dem Wachstum der Stadt Schritt zu halten und den mehr als angespannten Wohnungsmarkt zu entlasten. Insgesamt sind rund drei Prozent der Stadtfläche, ca. 3.000 Hektar, mit Kleingartenkolonien bedeckt. Laut Schätzungen könnten auf dieser Fläche etwa 400.000 Wohnungen gebaut werden. Doppelt so viele, wie man in Berlin in den nächsten zwölf Jahren braucht. Nun liegt eine repräsentative Umfrage des digitalen Datenerhebungsinstituts Respondi aus Köln vor, die 1.000 Berliner repräsentativ befragt haben.

Generationsunterschiede treten offen zutage

Die Umfrage kommt zu dem Ergebnis, dass 54, 4 Prozent der Befragten eine teilweise oder vollständige Bebauung von Schrebergärten befürworten. Besonders relevant ist dabei die Tatsache, dass 71,2 Prozent der Befragten in der Altersgruppe 18-29 Jahre eine vollumfängliche oder zumindest teilweise Bebauung von Kleingartenkolonien begrüßen würden. Wenig überraschend lehnen hingegen mehr als 60 Prozent der über 50-jährigen eine Bebauung kategorisch ab. (Anlage Umfrage Bebauung Kleingärten)

In diesem Zusammenhang wird ein Generationskonflikt deutlich. Während junge Menschen das Konzept „Schrebergarten“ offensichtlich nicht mehr verstehen, andere Prioritäten setzen und daher für die Schaffung von familiengerechtem Wohnraum plädieren, sind Kleingartenkolonien für ältere Menschen oft noch ein erhaltens- und schützenswertes Modell.

Wohnraum vs. Laubenpieper?

Arne Piepgras, Immobilien-Projektentwickler und SPD-Mitglied, machte kürzlich in einem offenen Brief auf das Thema aufmerksam und fordert die Politik auf, endlich den Masterplan „Bezahlbaren Wohnraum schaffen“ für Berlin zu entwickeln. „Was wir benötigen ist ein auf zehn bis fünfzehn Jahre angelegter Masterplan, der neben der notwendigen Bebauung des Tempelhofer Feldes auch die Bebauung der Kleingärten durch landeseigene Wohnungsbaugesellschaften einbeziehen muss“, so Piepgras. Dabei hat der Investor durchaus einen sozial verträglichen Ansatz im Blick und befürwortet nur Teilbebauungen der Flächen, auf denen ein generationenübergreifendes Zusammenleben ermöglicht werden soll: „Wenn wir nicht aufpassen, werden wir Verhältnisse wie in München oder London bekommen, wo sich kein Normalverdiener mehr innerstädtischen Wohnraum leisten kann. Solche Verhältnisse will die große Mehrheit der Berliner nicht, nach meiner festen Überzeugung auch nicht die Mehrheit der Kleingärtner.“

Rückendeckung erhält Arne Piepgras von Klaus Neumann, Landschaftsarchitekt und emeritierter Professor an der Beuth-Hochschule, der sich unter anderem mit Kleingärten und Urban Gardening befasste: „Zu sagen `Wir wollen nicht bebaut werden, weil wir Kleingärten sind` ist aus der Egozentrik des Kleingärtners heraus richtig, aber nicht mit der Position, dass eine Stadt mit ganz vielen unterschiedlichen Ansprüchen auskommen muss“, so Neumann. (Tagesspiegel online: Viele Kleingärtner leben im Vorgestern) Eine Reaktion der Berliner Bausenatorin Katrin Lompscher, an die die offenen Briefe gerichtet waren, ist bisher ausgeblieben.

Schrebergärten: Ein Konzept aus dem 19. Jahrhundert – Immer noch zeitgemäß?

Der Namensgeber der Schrebergärten, Daniel Gottlob Moritz Schreber, bereits 1861 in Leipzig verstorben, war ein deutscher Arzt und Hochschullehrer, der sich mit den sozialen Folgen des Stadtlebens zu Beginn der Industrialisierung befasste. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zahlreiche Kleingartengebiete in deutschen Städten ausgewiesen, um der Bevölkerung eine bessere Ernährung zu ermöglichen. Aufgrund des Wohnungsmangels in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Kleingartenanlagen die Lauben oft ungenehmigt erweitert und bewohnbar gemacht. Diese Schwarzbauten wurden von der Stadtverwaltung meist geduldet und den Bewohnern lebenslanges Wohnrecht zugestanden. Das ist der Grund dafür, dass bis heute in alten Kleingartenanlagen noch kleine Wohnhäuser zu finden sind, die auch bewohnt sind.

Als im 19. Jahrhundert zu Beginn der Industrialisierung Arbeiter unter menschenunwürdigen Bedingungen malochten, erholten sie sich in den Kleingärten und zogen dort Gemüse. Ähnlich lebensnotwendig war die Nutzung der Kleingärten nach dem Zweiten Weltkrieg. Im 21. Jahrhundert sind die sozialen Verhältnisse jedoch vollkommen anders. Die wachsende Stadt Berlin braucht dringend Wohnraum, zahlreiche Kleingartenkolonien liegen inmitten der Stadt, dort könnten neben mietpreisgebundenen Wohnungen auch Kitas und Schulen entstehen. Im Übrigen fehlen in der Hauptstadt 3.000 Kita-Plätze, obwohl ein gesetzlicher Anspruch für jedes Kind auf einen Betreuungsplatz besteht. Eine Diskussion, die erwägt, Schrebergärten an den Stadtrand oder in das Brandenburger Umland zu verlegen und dadurch dringend benötigten Platz für junge Menschen zu schaffen, ist deshalb überfällig. Arne Piepgras ist es dabei wichtig, Kompromisse zu schließen und den betroffenen Kleingärtnern entgegenzukommen: „Ich setze mich dafür ein, dass ein jeder Kleingärtner, der seine Parzelle aufgibt, entweder finanziell entschädigt wird oder als Alternative ein Grundstück auf den landeseigenen Grundstücken der Stadtgüter erhält.“

In Hannover ist man weiter

In der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover wurde diese Diskussion jedenfalls bereits geführt. Das „Kleingartenkonzept 2016-2025" der Stadt Hannover sieht nämlich vor, dass einige Flächen, auf denen heute Schrebergärten stehen, dem Wohnungs- und Gewerbebau weichen müssen. Die Stadt verspricht, die Zahl der Gärten konstant zu halten. Wo Parzellen wegfallen, soll an anderer Stelle Ersatz geschaffen werden. Auf den frei werdenden Parzellen sollen bis zu 1000 Wohnungen entstehen, möglicherweise sogar mehr. Der Bezirksverband der Kleingärtner war dabei an der Erstellung des Konzepts beteiligt und hat damit für die mittel- bis langfristige Zukunft einen verbindlichen Rahmen und für die Mitglieder Sicherheit geschaffen. Ein Kompromiss also, mit dem alle Beteiligten leben können.

Die bisherigen Planungen in Berlin sind vergleichsweise bescheiden. Hier wird geplant, bis 2020 3.000 der mehr als 73.000 Berliner Kleingärten in Bauland umzuwandeln. Der Berliner Kleingartenentwicklungsplan sieht weiterhin vor, nach 2020 etwa 257 der 2300 Hektar landeseigenen Kleingartenflächen zu bebauen. Das sind etwas mehr als elf Prozent. Die Verweigerung des Dialogs durch die Verantwortlichen im Senat auf die Vorschläge von Arne Piepgras bleibt daher unverständlich. Möglicherweise ist das unpopuläre Thema Kleingärten für manche Volksvertreter einfach ein zu heißes Eisen, an dem man sich nicht die Finger verbrennen möchte.







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