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17.09.2020 Zinsen: Strategiewechsel der Fed zementiert ultralockere Geldpolitik

Das Rekordtief vom März 2020 haben die Bauzinsen zwar nicht wieder erreicht, besonders weit davon entfernt sind sie aber auch nicht. Der Bestzins für 10-jährige Hypothekendarlehen liegt weiterhin bei 0,36 Prozent. Auch die Konditionen für längere Zinsbindungen haben sich seit August nicht bewegt und deuten weiter darauf hin, dass uns die Niedrigzinsphase noch lange Zeit begleiten wird. Darlehen mit 20 Jahren Zinsbindung erhalten Kreditnehmer ab 0,92 Prozent, 15-jährige Darlehen ab 0,66 Prozent. Michael Neumann, Vorstandsvorsitzender der Dr. Klein Privatkunden AG, erwartet auf absehbare Zeit keine Änderung des sehr niedrigen Zinsniveaus: „Selbst wenn die Inflation wieder anziehen sollte, rechne ich nicht direkt mit steigenden Zinsen. Viele Staaten können sich deutlich höhere Zinsen aufgrund ihrer Rekordschuldenstände kaum leisten. Der EZB sind damit ein Stück weit die Hände gebunden und sie kann nicht mit starken Zinserhöhungen gegensteuern.“

Folgenreiche Entscheidung: Fed ändert ihre Strategie

Die ultralockere Geldpolitik ist in den Jahren seit der Finanzkrise fast zu einer neuen Normalität geworden – sowohl in Europa als auch in den USA. Mit Corona hat die historische Geldschwemme noch einmal neue Dimensionen erreicht. Die US-Währungshüter sind Ende August auf ihrer jährlichen Konferenz in Jackson Hole nun einen Schritt weiter gegangen und haben ihre Strategie grundlegend neu ausgerichtet: Auch im Fall einer wirtschaftlichen Erholung kann die Fed nun eine steigende Inflation in Kauf nehmen und die Zinsen weiter niedrig halten. Die angestrebten zwei Prozent Inflation sind ab sofort nicht mehr Punktziel, sondern lediglich ein Durchschnittsziel. „Die Strategieänderung kam nicht unerwartet, hat aber enorme Auswirkungen auf die künftige Geldpolitik“, meint Michael Neumann. „Sie lässt der Fed sehr viel Spielraum, auch wesentlich höhere Inflationsraten über einen langen Zeitraum zu tolerieren, wenn sie dabei glaubhaft machen kann, dass sie damit einen positiven Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung hat.“ Konkret bedeutet das: Die Währungshüter werden die Niedrigzinsen so lange fortführen, bis Vollbeschäftigung herrscht, unabhängig davon, ob die Inflation dabei stark steigt und die Kaufkraft der Menschen sinkt.

Niedrige Inflation, starker Euro: EZB unter Druck

Aufgrund der schwachen Inflation und des starken Euro-Kurses waren die Erwartungen an die EZB-Sitzung Anfang September hoch. EZB-Chefin Christine Lagarde blieb allerdings zurückhaltend und sendete keine weiteren Lockerungssignale. Zum steigenden Euro-Kurs konstatierte die Notenbank-Chefin lediglich, dass die EZB die Effekte beobachten werde, aber kein Ziel für die Währung hätte. Eine Aussage, die im Nachhinein von vielen Beobachtern als zu vorsichtig kritisiert wurde. „Lagarde ist es nicht gelungen, den Euro-Anstieg einzubremsen“, meint auch Michael Neumann. „Im Gegenteil: Nach der Konferenz ist der Euro-Kurs sogar weiter gestiegen.“ Seit März nahm der Euro-Kurs um rund 10 Prozent zum US-Dollar zu. Ein stärkerer Euro ist vor allem für exportstarke Nationen wie Deutschland ein Problem. Er verteuert Ausfuhren in andere Länder und verbilligt Einfuhren in die Eurozone. Nach der Kritik an ihrer vorsichtigen Haltung fand Christine Lagarde wenig später auf einer Konferenz der Notenbanken aus dem arabischen Raum deutlichere Worte: Die jüngste Aufwertung des Euro würde die Wirkung der geldpolitischen Lockerungen der Notenbank teilweise konterkarieren. Die Notenbank stehe daher bereit, alle Instrumente falls nötig anzupassen.

EZB-Strategieprüfung: Wird sie sich an der Fed-Entscheidung orientieren?

Auch die EZB ist dabei, ihre Stratgie zu überprüfen. Sie steht dabei allerdings vor noch größeren Herausforderungen als die Fed. Die europäischen Währungshüter müssen die Interessen und Bedürfnisse vieler und teilweise sehr unterschiedlicher Länder in ihre Entscheidung einbeziehen. „Deutschland hat aufgrund der Erfahrungen mit galoppierenden Preisen fast panische Angst vor einer zu hohen Inflation. Ich erwarte daher eine abgeschwächtere Lösung als das durchschnittliche Inflationsziel der Fed.“ Um eine Überarbeitung der Strategie wird allerdings auch die EZB nicht herumkommen. „Die EZB mahnt seit einem Jahrzehnt Reformen an und erkauft der Politik durch Anleihekäufe und niedrige Zinsen immer neue Zeit dafür. Anstatt zukunftsorientierte Reformen umzusetzen, häufen viele Euro-Staaten allerdings immer höhere Schuldenberge an und machen sich damit abhängig von den Niedrigzinsen. Die Notenbank ist inzwischen in einer Zwickmühle gefangen und droht zu einem Erfüllungsgehilfen der Politik zu werden. Sie muss also höhere Inflationsraten tolerieren, um nicht selbst Auslöser der nächsten Schuldenkrise zu sein.“

Von Corona verdrängt, aber immer noch da: das drohende Brexit-Chaos

Lange Zeit hat Corona die Schlagzeilen beherrscht. Dass der Austritt Großbritanniens aus der EU nach wie vor nicht geregelt ist, rückte in den letzten Monaten in den Hintergrund. Nun verschärft sich der Streit um die Brexit-Regelungen erneut, zum Jahresende droht ein chaotischer Austritt. „Das Risiko eines ungeregelten Ausstiegs steigt mit jedem Tag, solange keine Lösung in Sicht ist. Meiner Meinung nach werden die kurzfristigen Auswirkungen allerdings eher überschätzt. Bei einem Brexit ohne umfangreiches Abkommen gehen weder in Großbritannien noch in der EU die Lichter aus. Die langfristigen, geopolitischen Auswirkungen werden dagegen eher unterschätzt. Ohne ein Abkommen erwarte ich, dass Großbritannien künftig unter anderem in puncto Steuerpolitik und Währung als aggressiverer Wettbewerber auftreten wird“, so die Einschätzung Michael Neumanns.

Kurzfristig: steigende Volatilität möglich
Mittelfristig: schwankend seitwärts auf niedrigem Niveau






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