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17.09.2021 Wahlprogramme: Wer beseitigt die Wohnungsnot?

Die Researchabteilung des Immobilienhauses Aengevelt hat die Aussagen der Wahlprogramme von Parteien zum Thema “Wohnungspolitik“ geprüft. Das Ergebnis: Bei allen wahrscheinlichen Regierungskoalitionen wird sich der akute Wohnungsmangel in den Wachstums- und Zuwanderungskernen noch deutlich verschärfen, weil daran beteiligte Parteien die Baukosten weiter in die Höhe treiben, Planungs- und Genehmigungsverfahren zum Teil sogar erheblich erschweren und damit Eigennutzer und Investoren abschrecken. Lediglich bei zwei Parteien sehen die Analysten Ansätze für eine Stimulierung des Wohnungsneubaus. Aber auch diese bleiben angesichts des grundsätzlich erforderlichen Umsteuerns lediglich in (viel) zu bescheidenem Rahmen.

Nach Analysen von Aengevelt Research weisen mehrere Indikatoren übereinstimmend darauf hin, dass sich der Wohnungsmangel seit dem Jahr 2008, als die Wohnungsmärkte zum letzten Mal ausgeglichen waren, insbesondere in den Wachstumsmetropolen massiv verschärft hat. So sind die Quadratmetermieten in ganz Deutschland um 47 Prozent gestiegen, der Anteil der Menschen, die in überbelegten Wohnungen leben, in den Städten um 41 Prozent, die Zahl der Wohnungslosen um 86 Prozent – und das sogar, ohne die Flüchtlingszuwanderung zu berücksichtigen. In vielen Großstädten ist es selbst für Durchschnittsverdiener mittlerweile sehr schwierig bis nahezu unmöglich geworden, eine bedarfsgerechte Wohnung zu einkommensadäquaten Mieten zu finden.

Dass sich der Wohnungsmarkt zyklisch entwickelt und immer wieder Mangelsituationen entstehen, ist nichts Ungewöhnliches. Früher hatten größere Investoren auf solche Mangelsituationen stets rasch reagiert und die Wohnungsnot durch eine Steigerung der Baufertigstellungen kurzfristig wieder beseitigen können. So waren Mitte der 1990er Jahre bis zu 600.000 Wohneinheiten pro Jahr fertiggestellt worden, in vier Jahren insgesamt 2,3 Millionen. Heute erreichen wir nur 300.000 Wohneinheiten pro Jahr, also gerade einmal die Hälfte der vorangehenden Bauleistung. Das ist nach Branchenerkenntnissen deutlich zu wenig, um den laufenden Wohnungsneubaubedarf zu decken, der sich auf 350.000 bis 400.000 Wohneinheiten pro Jahr stellt, geschweige denn, um das fehlsteuerungsbedingt über Jahre entstandene Defizit auszugleichen. Die Folge: Der in Wachstumsstädten vorherrschende Wohnungsmangel hält nicht nur an, sondern verschärft sich noch weiter.

Die Gründe für die unzureichenden Neubauleistungen liegen in den ideologiegetriebenen politischen Maßnahmen, welche insgesamt die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau kontinuierlich verschlechtert haben: Quantitativ, qualitativ und zudem viel zu langatmige und im Ergebnis damit unzureichende Ausweisung von Bauland durch die Kommunen, Steigerung der Baukosten durch gesetzliche Auflagen, Abbau der Förderung des sozialen Wohnungsbaus, Streichung der Förderung des Baus von Eigenheimen, Verschlechterung der steuerlichen Rahmenbedingungen für den Bau von Mietwohnungen, massive pauschale Erhöhungen der Grunderwerbsteuer durch die Länder. Die Mietpreisbremse hat den Anstieg der Mieten nicht aufhalten können, sondern nachweislich noch zu einer weiteren Mietsteigerung und Verunsicherung der Investoren geführt. In zahlreichen Großstädten sind die Mieten nach Einführung der Mietpreisbremse noch stärker gestiegen als zuvor.

Dazu Dr. Wulff Aengevelt: „Wenn es zu wenige Wohnungen gibt, setzen sich die ökonomisch und sozial stärksten Nachfrager durch. Das wird auch durch strikteste mietenregulierende Maßnahmen dauerhaft nicht außer Kraft gesetzt. Wenn wir den Wohnungsmangel in den Wachstumsstädten beseitigen wollen, müssen wir den Wohnungsneubau konsequent voranbringen – so wie wir es schon in den 50er und 60er Jahren und zuletzt Mitte der 1990er Jahre hinbekommen haben. Die Instrumente, die damals gewirkt haben, sind aber von der Politik nach und nach abgeschafft worden. Es liegt jetzt in der Hand der Parteien, die bewährten Mittel zur Förderung des Wohnungsbaus wieder zu reaktivieren.“

Wenn der Wohnungsmangel ideologisch-politisch verursacht worden ist, dann hat Politik auch die Möglichkeit, die richtigen Maßnahmen zu treffen, um den Wohnungsbau wieder anzukurbeln. Aengevelt Research hat die Wahlprogramme zur Bundestagswahl im Hinblick darauf analysiert, inwieweit sie geeignet sind, den Wohnungsbau voranzubringen. Hier das Ergebnis:

• Das Wahlprogramm der CDU hat insgesamt die umfangreichsten Pläne zur Steigerung des Wohnungsbaus. Sie ist auch die einzige Partei, die mit 1,5 Millionen Wohnungen in vier Jahren bzw. einer Steigerung auf 375.000 Wohneinheiten pro Jahr ein konkretes Neubauziel setzt, das aber angesichts des Bedarfs nach wie vor nur als Minimalziel gelten kann. Die soziale Wohnungsbauförderung durch den Bund soll auf bisherigem Niveau fortgesetzt werden, das Baukindergeld soll erhöht werden, der freifinanzierte Mietwohnungsbau durch eine bescheidene Sonderabschreibung gefördert werden. Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen beschleunigt , die Mobilisierung von Bauland erleichtert werden. Neue ökologische Anforderungen an Baumaterialien könnten allerdings die Baukosten weiter steigern. Die Grunderwerbsteuer soll durch Freibeträge für den erstmaligen Eigenheimerwerb für Eigennutzer gelindert werden. Weitere Verschärfungen der Mietenpolitik werden klar abgelehnt.

Die Gesamtbewertung von Aengevelt Research: Viele sinnvolle Maßnahmen, die in die richtige Richtung weisen, aber angesichts der Überfälligkeit der Umsteuerung zu moderate Ansprüche verfolgen.

• Die SPD setzt sich kein Neubauziel, will aber den sozialen Wohnungsbau in etwa verdreifachen. Sie will eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit (die 1990 abgeschafft wurde), während die Förderung des freifinanzierten Mietwohnungsbaus keine Rolle spielt. Die Eigenheimförderung soll auf Mietkaufmodelle beschränkt bleiben. Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen durch die Einführung eines Planungswertausgleichs weiter verkompliziert werden, zur Mobilisierung von Bauland soll ein Bodenfonds eingerichtet werden. Öffentlicher Boden soll nur noch in Erbpacht vergeben werden – was bedeutet, dass für solche Projekte nur erschwert Fremdfinanzierung gefunden werden kann. In Bezug auf die Baukosten ist lediglich von einer Förderung für Energieversorgungskonzepte auf Quartiersebene die Rede. Die Grunderwerbsteuer will die SPD nicht antasten. Der wohnungspolitische Schwerpunkt des Programms liegt auf mehreren Maßnahmen, die Mieterhöhungsmöglichkeiten begrenzen sollen.

Das Aengevelt-Fazit: Die scharfe Mietenpolitik wird wohl eher Investoren abschrecken als anlocken. Der Wohnungsbau soll von privaten Bauherren auf neue gemeinnützige Wohnungsunternehmen umgelenkt werden. Wirksame Maßnahmen zur Steigerung der Neubauleistung sind nicht erkennbar.

• Die Grünen formulieren ein Neubauziel, das sehr unpräzise bleibt, wenn von “zusätzlich“ einer Million Wohneinheiten gesprochen wird. Auch sie wollen 100.000 Sozialwohnungen jährlich fördern, im Eigenheimsektor aber lediglich Mietkaufmodelle. Der freifinanzierte Mietwohnungsbau soll nicht gefördert werden. Im Bereich der Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie der Baukosten werden massive Hemmnisse errichtet, sollten die Grünen an einer Regierungskoalition beteiligt werden. Ein Bodenfonds soll die Mobilisierung von Bauland erleichtern, das aus öffentlicher Hand ebenfalls nur in Erbpacht vergeben werden soll. Auch die Grünen setzen auf eine Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit und wollen den Anstieg der Mieten durch drastische Maßnahmen begrenzen.

Die Gesamtbewertung von Aengevelt Research: Die Vorschläge der Grünen werden den Neubau von Wohnungen nicht erleichtern, sondern massiv erschweren.

• Die FDP will, ganz marktwirtschaftlich, den Wohnungsbau nicht durch Subventionen fördern. Lediglich zur Ankurbelung des Mietwohnungsbaus will sie die Abschreibung in sehr bescheidenem Umfang von 2 Prozent auf 3 Prozent anheben (bis 1996 waren es mal 7 Prozent). Dafür will die FDP konsequent die Planungs- und Genehmigungsverfahren entbürokratisieren und beschleunigen. Um die Baukosten zu senken, will die Partei einen „Baukosten-TÜV“, der Normen und Regulierungen überprüft. Auch zur Mobilisierung von Bauland hat die Partei sinnvolle Ideen. Für den Erwerb selbstgenutzten Wohneigentums schwebt der FDP ein hoher Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer vor. Die geltende Mietenbremse soll abgeschafft werden.

Fazit Aengevelt Research: Die FDP will den Wohnungsbau vor allem durch Deregulierung voranbringen. Bei der Förderung ist sie zurückhaltend. Die Erhöhung der Abschreibung auf 3 Prozent ist zwar wirksam, aber (zu)zaghaft.

• Die Linken wollen die Fördermittel des Bundes für den sozialen Wohnungsbau von derzeit 1 Milliarde Euro auf 15 (!) Milliarden anheben. Das selbstgenutzte Wohneigentum interessiert die Partei nicht, ebenso nicht die Förderung des Mietwohnungsbaus durch Private, während auch diese Partei eine neue Gemeinnützigkeit will. Zusätzliche Auflagen werden zu einer weiteren Erschwerung der Planungs- und Genehmigungs-verfahren sowie der Mobilisierung von Bauland führen. Wachsende soziale und ökologische Ansprüche werden auch die Baukosten weiter in die Höhe treiben. Radikale Eingriffe in die Mietpreisfindung werden Bauherren abschrecken.

Fazit Aengevelt Research: Die Linkspartei will nicht den Wohnungsbau fördern, sondern den Wohnungssektor insgesamt umgestalten, um gemeinnützigen Trägern und der öffentlichen Hand einen noch deutlich größeren Einfluss zu verschaffen. Sollte die Linkspartei im Rahmen einer Koalition Einfluss auf die Wohnungspolitik gewinnen, könnte dies nennenswerte private Investitionen in den Wohnungssektor vollständig beenden.

Gleich drei Parteien (SPD, Grüne und Linke) wollen die 1990 aus guten Gründen abgeschaffte Gemeinnützigkeit wieder einführen. Die Verbände der ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen und -genossenschaften verweisen jedoch darauf, dass die Beschränkungen ihrer Geschäftstätigkeit, die damit einhergehen würden, dazu führen würden, dass sie weder ihre sozialen Leistungen erbringen, noch dass sie den klimagerechten Umbau ihrer Wohnungsbestände stemmen könnten.

In Summe stellt Aengevelt Research fest, dass keines der analysierten Wahlprogramme Maßnahmen enthält, die geeignet wären, den aufgelaufenen Wohnungsmangel wirksam zu beseitigen. Am ehesten kann noch von CDU und FDP erwartet werden, dass die von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen Impulse für eine Steigerung der Neubautätigkeit setzen werden, wobei die FDP eher auf Deregulierung und Kostensenkung setzt, während die Union ein breiteres Bündel verschiedener Maßnahmen im Köcher hat und sich als einzige Partei ein konkretes Neubauziel setzt.

Dr. Wulff Aengevelt: „Entschlossene und fachlich wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung des Wohnungsmangels sehen wir bei keiner der Parteien, die zur Bundestagswahl antreten. Immerhin haben CDU und FDP eine Reihe von Vorschlägen in ihren Programmen, die geeignet sind, den Wohnungsneubau in bescheidenem Umfang zu steigern. Wenn dagegen SPD, Grüne oder Linkspartei Einfluss auf eine Regierungskoalition erhalten, wird sich der Wohnungsmangel noch verschärfen. Die Mieten begrenzen zu wollen, ist ein Placebo. In einer Situation, in der Wohnungen fehlen, müsste man den Investoren rote Teppiche ausrollen, anstatt sie durch eine wirtschaftsfeindliche Mietenpolitik davon abzuschrecken, ihr Kapital in den Wohnungsbau zu investieren. Und ohne privates Kapital und ohne private Bauherren kanndie Überwindung der Wohnungsnot nicht gelingen. Und eine neue Gemeinnützigkeit wird das Versorgungsproblem nicht lösen können, denn auch die Gemeinnützigen brauchen Kapital, Fachleute und müssen kostendeckende Mieten erwirtschaften.“

Aengevelt Research hat auch die Koalitionen bewertet, die angesichts der aktuellen Voraussagen möglich und wahrscheinlich sind. Nach der Logik der üblichen Paketverhandlungen ist zu erwarten, dass die verschiedenen Koalitionspartner jeweils die Programmpunkte durchsetzen werden, die ihnen wichtig sind. Da an fast allen Koalitionsszenarien mindestens eine Partei beteiligt sein wird, die eher wirtschaftsfeindlich ist, und mindestens eine Partei, die eher marktwirtschaftlich orientiert ist, erwartet Aengevelt Research als wahrscheinlichstes Szenario, dass es eine moderate Ausweitung der Förderung des sozialen Wohnungsbaus durch den Bund geben wird, die aber konterkariert wird durch weitere regulative Auflagen, die die Baukosten steigern und Planungs- und Genehmigungsverfahren noch weiter verlangsamen und erschweren. Eine Verschärfung der Mietpreisbremse ist ebenfalls zu befürchten, die aber auch weiterhin keinen Beitrag zur Bekämpfung der Wohnungsnot leisten wird. Die Wohnungsnot in Wachstumskernen wird uns damit auf lange Zeit erhalten bleiben und sich sogar noch verschärfen.





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