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12.09.2017 Bundestagswahl: Langeweile? Zukunftsthemen werden vernachlässigt

Für die Finanzmärkte ist die Bundestagswahl kein Ereignis von Bedeutung. Erstens scheint der Ausgang bereits mehr oder weniger festzustehen, und zweitens würde selbst ein äußerst unwahrscheinliches Sensationsvotum für einen neuen Bundeskanzler die Märkte vermutlich kaum beeindrucken, weil sich die Programme der dahinter stehenden Parteien nur wenig unterscheiden.

Dabei gibt es trotz der guten wirtschaftlichen Lage genügend Stoff für kontroverse Diskussionen. Das gilt insbesondere für Themen, die von grundsätzlicher Bedeutung für die zukünftige Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft und damit auch für das Marktgeschehen relevant sind. Ein Blick in die Parteiprogramme zeigt, dass die Dinge hier teilweise nur angedacht wurden oder viel Raum für Interpretationen offen lassen. An zwei Themenkomplexen sei dies exemplarisch demonstriert:

Digitalisierung: Einig sind sich alle Parteien in der Forderung nach einem Ausbau des Glasfasernetzes. Dies ist insoweit erstaunlich, als man durchaus fragen könnte, ob die flächendeckende Verbreitung von Hochgeschwindigkeitsnetzen wirklich notwendig ist, oder ob die dafür erforderlichen Mittel nicht an anderer Stelle besser verwendet werden könnten. Mit Ausnahme der FDP sehen die meisten Parteien die Förderung der Digitalisierung zudem als staatliche Aufgabe an. Einig ist man sich auch darin, dass die Digitalisierung für eine effizientere Verwaltung und den Abbau von Bürokratie genutzt werden könnte. Gerne würde man hier erfahren, was die Parteien darunter konkret verstehen.

In den Parteiprogrammen durchaus angesprochen werden die Gefahren, die mit der Digitalisierung verbunden sind, also v. a. die Marktmacht einzelner Riesenkonzerne, die Datensicherheit und der Schutz der Privatsphäre. Auch die Auswirkungen auf Bildung und Arbeitsmarkt werden von den Parteien in unterschiedlicher Deutlichkeit thematisiert. Dass auch Anpassungen in den Sozialsystemen notwendig sind, weil die Digitalisierung zu neuen Formen der Arbeit führt und damit klassische Erwerbsbiografien ersetzt, dazu findet sich in den Wahlprogrammen der Parteien allerdings leider wenig bis gar nichts.

Zuwanderung: Dass die negativen Folgen der demographischen Entwicklung für den Arbeitsmarkt grundsätzlich auch mit einer gesteuerten Zuwanderung gemildert werden könnten und sollten, ist unter den politischen Akteuren Konsens – zumindest unter denjenigen, die Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung haben. Ein Einwanderungsgesetz ist Ziel aller Parteien und dürfte schon deshalb in der nächsten Legislaturperiode Wirklichkeit werden. Damit ist aber noch nichts über den Inhalt eines solchen Gesetzes gesagt: Genügt es, Menschen mit einem gültigen Arbeitsvertrag die Zuwanderung zu erleichtern (CDU und CSU), oder ist nicht vielmehr eine aktive Einwanderungspolitik erforderlich, mittels derer gezielt Menschen angelockt werden (SPD, Grüne und FDP)? Wie groß sollte das jährliche Kontingent für die Zuwanderung sein, und nach welchen Kriterien sollten Zuwanderer ausgewählt werden? Ein zielführender und sachbezogener Streit könnte die Parteien zwingen, ihre insgesamt recht allgemeinen Positionen auch schon im Vorfeld der Wahlen konkreter auszuformulieren.

Die gepflegte Langeweile, die den laufenden Wahlkampf beherrscht, müsste also nicht sein. Themen von grundsätzlicher Bedeutung, an denen sich die Zukunftsfähigkeit des Landes entscheidet, gibt es genug – neben den genannten gehören beispielsweise auch die weitere Gestaltung der europäischen Integration, die Energiepolitik oder die Einstellung zu Innovationen (und zu den damit verbundenen Risiken) dazu. Hier Lösungen zu finden, hat zwar kurzfristig keinen Einfluss auf die Konjunktur, wohl aber Bedeutung für das langfristige Wachstumspotenzial. Noch besteht die Chance einer breiteren Diskussion über diese Themen. Aber auch in den kommenden vier Jahren wird eine wie auch immer zusammengesetzte Bundesregierung Lösungen für viele dieser Themengebiete entwickeln müssen.

(FERI-Prognose: Autor Axel D. Angermann analysiert als Chef-Volkswirt der FERI Gruppe)






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