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09.05.2016 Deutsche Industrie kein Vorreiter mehr in Europa

In den vergangenen zwei Jahren ist die deutsche Industrieproduktion lediglich um 1,3% gestiegen, im übrigen Euroraum war der Zuwachs dagegen mehr als dreimal so stark (+4,5%). Gemessen am Wachstum hat die deutsche Industrie damit ihre führende Rolle im Euroraum eingebüßt. Diese Entwicklung hat vier Gründe.

Erstens: Das Wachstum der europäischen Industrie wird maßgeblich von der Automobilindustrie getrieben, und gerade in diesem Sektor gab es in anderen europäischen Ländern nach Überwindung der Rezession zwischen 2011 und 2013 einen erheblichen Nachholbedarf. So ist die Produktion von Autos und Autoteilen seit Anfang 2014 in Spanien um 25%, in Italien um imposante 36% und in Frankreich immerhin noch um 7% gestiegen. Dennoch liegt die Produktion in allen drei Ländern erheblich unter dem Vorkrisenniveau. Geholfen hat den Produktionsstätten im europäischen Ausland auch die spezifische Exportstruktur, die sich erheblich von der deutschen unterscheidet: Zwischen 42% (Italien) und mehr als 60% (Frankreich) der Automobil-Exporte gehen in Länder des Euroraums, während es von Deutschland aus nur 27% sind. Deutschland ist zudem ungleich stärker von der Schwäche Chinas betroffen, denn dorthin gehen 8% der Auto-Exporte, während die Exportanteile der anderen Länder bei weniger als 2% lagen.

Zweitens: Deutschland ist auch jenseits der Automobilindustrie kein Vorreiter mehr im Exportwachstum. Auch hier spielt die regionale Verteilung der Exporte eine wesentliche Rolle. Deutsche Exporteure sind stärker als ihre französischen, italienischen und spanischen Pendants von der Schwäche Chinas und der asiatischen Schwellenländer, aber auch von der gesunkenen Nachfrage Russlands und deren negativen Wirkungen auf osteuropäische Länder betroffen.
Drittens: In den vergangenen Jahren sind die Lohnstückkosten in Deutschland stärker angestiegen als in anderen europäischen Ländern. Höhere Löhne und die stärkere Reglementierung der Leiharbeit auf der deutschen Seite sowie Arbeitsmarktreformen in einigen anderen europäischen Ländern haben dazu wesentlich beigetragen. Allerdings spielt hier auch eine Rolle, dass etwa im Maschinenbau trotz der schwachen Produktionsentwicklung in vielen Betrieben an der Belegschaft festgehalten wird. Man will angesichts des Fachkräftemangels vermeiden, im Falle einer Besserung der Geschäftslage ohne qualifiziertes Personal da zu stehen.

Viertens: In energieintensiven Branchen hat Deutschland spezifische Wettbewerbsnachteile. Die im Vergleich zu Deutschland um etwa 30% niedrigeren Strompreise für Industrieunternehmen in Frankreich dürften einer der Gründe dafür sein, dass die Produktion etwa in der Chemie- und der Metallindustrie dort zuletzt spürbar zulegte, während sie in Deutschland praktisch stagnierte.

Fazit: Trotz des aktuell negativen Befunds ist mit einer dauerhaften Schwäche der deutschen Industrie nicht zu rechnen. Die Aufholjagd nach verlorengegangenen Marktanteilen in Italien und Spanien wird früher oder später enden, und eine wirtschaftliche Erholung in den Schwellenländern käme der deutschen Industrie mit ihren Stärken im Investitionsgüterbereich stärker zugute als anderen Ländern. Weil solche positiven Effekte aber im Jahr 2016 noch nicht abzusehen sind, wird der Zuwachs der deutschen Industrieproduktion mit 1% auch im laufenden Jahr schwach bleiben und überdies geringer ausfallen als in Frankreich (1,25%), Italien (1,6%) und besonders in Spanien (2,8%). Langfristig ist wieder mit einer stärkeren Angleichung der Wachstumsperspektiven für die Industrie zu rechnen. Dazu müsste aber vor allem der Anstieg bei den Lohnstückkosten gebremst werden.



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