News RSS-Feed

18.01.2021 Bilanz für 2020: Entwicklungen von Einzelhandel und Handelsimmobilien

Olaf Petersen, Geschäftsführer und Chefresearcher des Einzelhandelsspezialisten COMFORT nimmt den Beginn des Jahres 2021 zum Anlass, den Blick bilanzierend auf das Jahr 2020 ebenso zu richten wie auf die Erwartungen für das Jahr 2021. Dabei lässt sich zunächst konstatieren, dass die Bilanz für 2020 nicht unter normalen Umständen erfolgen kann. Wahrscheinlich noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland war ein Jahr so ausschließlich von einem Thema geprägt, das praktisch alle Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens fest im Griff hatte. Und hat, denn die weltweite Corona-Pandemie wird zumindest in Deutschland vermutlich erst ab dem Sommer dieses Jahres an Wirkung auf alle Lebensbereiche einbüßen. Dies hängt stark von der derzeit heftig diskutierten Versorgung mit Impfstoffen ab.

Online gewinnt – viele stationäre Händler unter Druck

Im Einzelhandelsbereich wurden in der Corona-Krise bereits zuvor bestehende Trends deutlich verstärkt. Hierzu zählt ein deutlich überdurchschnittlich wachsender Online-Handel ebenso wie das Revival und die Qualifizierung der Nahversorgung, eine schwache Entwicklung für Textilanbieter und aufgrund all dessen ein ausgeprägter Mietermarkt mit entsprechenden Auswirkungen auf die Konditionen bei Neuvermietungen. Einige Retail-Branchen profitierten von der Krise und die neue Konzentration auf das eigene Zuhause. Dies geht über Lebensmittel, Einrichtung, Do-it-yourself, Gartenbedarf bis hin zum E-Biking-Trend. Im Gastronomie-Bereich wurde die Aufwärtsbewegung der vergangenen Jahre durch die im Vergleich zu Einzelhandel längeren Schließungen zunächst einmal ausgebremst.

Übergreifend spielte zudem der eingebrochene Städte-Tourismus eine große Rolle. Denn ebenso wie deutsche Touristen nur erschwert ihre Urlaubspläne umsetzen konnten, wurden in den deutschen Shopping-Metropolen die Corona-bedingt fehlenden (ausländischen) Touristen schmerzlich vermisst. Dies zeigt sich auch sehr anschaulich an den Rückgängen der Passantenfrequenzen gegenüber dem Vorjahr. Dazu
untersuchte Petersen einmal detaillierter die Entwicklung im September 2020, d.h. einen Monat ohne Lockdown sowie ohne Feiertage und kaum Ferien. Städte wie München, die stark vom internationalen Tourismus leben, verzeichneten hier deutlich größere Rückgänge als etwa Dortmund, das als touristisches Ziel für Besucher von außerhalb seltener in Betracht kommt.

Passantenzahlen in den Metropolen sinken um rund 15 Prozent

Auch nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 war das Einkaufen im Corona-Zeitalter kein reines Vergnügen (Maskenpflicht, Abstandshaltung, Postulat der Kontaktvermeidung, vielfaches Schlange stehen u.a.). Bezogen auf die September-Frequenzen, erklärt Petersen, werde jedoch deutlich, dass diese gemessen an den vorhandenen Hindernissen doch immer noch recht beachtlich gewesen seien und es teilweise nur sehr geringe Rückgänge gegenüber 2019 gegeben habe. Die beiden Grafiken mit den hystreet Frequenzen in Einkaufsstraßen der TOP 7 sowie ausgewählter regionaler Metropolen aus dem September 2020 - als alle Geschäfte inklusive Gastronomie noch geöffnet waren - verdeutlichen dies. In den Top 7-Metropolen betrug der Rückgang gegenüber dem Vorjahr durchschnittlich 15,3 %.

Mietermarkt und Druck auf die Mieten

Der Handelsimmobilienmarkt war in 2020 naturgemäß durch eine deutlich verringerte Mieternachfrage gekennzeichnet. Dies, so Petersen, gelte für die durch die Lockdowns betroffenen Nonfood-Einzelhandelsbranchen ebenso wie für die Gastronomie. Bei den nicht betroffenen Branchen der periodischen Versorgung dagegen blieb die Mieternachfrage stabil auf hohem Niveau.

In diesem Kontext standen die Mieten für Ladenlokale natürlich unter Druck und es waren zunehmend auch Leerstände festzustellen. Der bereits in den letzten ein bis zwei Jahren zu verzeichnende Trend zur Flexibilisierung von Mietverträgen – kürzere Festlaufzeiten, Umsatzmieten, Sonderkündigungsrechte, etc. – hat hierbei weiter an Relevanz gewonnen. Die gesunkene Mieternachfrage drückt nach COMFORT-Analysen vor allem bei größeren Ladenflächen ab 1.000 m² sowie vertikaler Geschossstruktur auf die Mieten. Zu der Vermietungs-Thematik wird COMFORT in Kürze eine ausführlichere Analyse vorlegen.

Transaktionsvolumen bleibt in 2020 bei knapp 11 Milliarden Euro

Auf dem Investmentmarkt erreichten Handelsimmobilien trotz des Lockdown-Schocks noch immer ein Transaktionsvolumen von knapp 11 Mrd. €. Dies entspricht in etwa dem Wert des Vorjahrs und dürfte auch dem nach wie vor vorhandenen Anlagedruck am Kapitalmarkt geschuldet sein. Spiegelbildlich zur Mieternachfrage stehen dabei zunehmend Fachmarktzentren sowie Verbraucher-/Supermärkte und Discounter auf der Einkaufsliste der Investoren. Das Interesse insbesondere an textil-dominierten Shopping-Centern hat hingegen deutlich nachgelassen. Auch bei HighStreet-Immobilien wird beim Ankauf nunmehr deutlich vorsichtiger agiert. Noch wesentlicher als zuvor ist hierbei die Bewertung der nachhaltigen Mieten für die Retail-Flächen. Ältere Mietverträge werden von Core-Investoren sehr kritisch mit Blick auf die nachhaltig erzielbaren Mieten hinterfragt. Hier ergibt sich für Developer bzw. Core+ und Value Add-Investoren ein erhebliches Potenzial für Repositionierungen von Objekten als innerstädtische Mischnutzungen und Quartiere.

Gründe zur Zuversicht –warum?

„Nun befinden wir uns mitten im zweiten Lockdown bei weitgehend grauem winterlichem Wetter, mit - abgesehen von der Nahversorgung und Außerhaus-Verkauf - geschlossenen Einzelhandelsgeschäften und Gastronomien“, sagt Olaf Petersen und wirft die Frage auf, ob es dennoch Gründe zur Zuversicht gebe. Seiner Ansicht nach schon.

Denn auch wenn die Entwicklung gefühlt und wahrscheinlich auch faktisch zu langsam von Statten gehen werde: Die Lockerung von Corona-Bestimmungen hin zu mehr Normalität ist längerfristig absehbar. „Spätestens für den Verlauf des 2. Halbjahrs 2021“, sagt er, „bestehen begründete Hoffnungen, dass sich die Rahmenbedingungen für die Konsumenten durch die begonnenen Impfungen spürbar normalisieren. Und hier glauben wir dann schon an eine echte Renaissance all der Dinge, die man in der Krise so schmerzlich vermisst hat: Reisen, Ausgehen, Kultur/Konzerte, Fußball/Sport-Events und eben auch: Shoppen.“

Der gerade durch die Lockdowns boomende Online-Handel habe gezeigt, dass man in der Tat vieles durch Online-Bestellungen beschaffen könne,
Ansicht eines durch COMFORT vermitteltes Fachmarktzentrum in Osnabrück. Eine Assetklasse, die auch in der Corona-Pandemie ungebrochen stark nachgefragt wird.
vielleicht mehr als man zuvor für möglich gehalten habe. „Das wird auch nicht wieder verschwinden, aber der permanente Empfang und Versand von Paketen kann einen echten Shopping-Bummel in beliebiger Kombination mit privatem Treffen, Essen gehen, Kino-/Theaterbesuch bzw. das haptische Einkaufen einfach nicht ersetzen. Hierfür wird es auch in der Zukunft einen Markt geben.“

Auch von Seiten der Rahmendaten gebe es positive Impulse. Zwar werde die Arbeitslosigkeit voraussichtlich weiter leicht zu nehmen, jedoch werde dieser Effekt überlagert durch eine deutlich geringere Spartätigkeit der privaten Haushalte. Während diese unter Corona-Einfluss in 2020 auf über 16 % und damit ein Rekordniveau angestiegen ist, wird für 2021 eine Normalisierung auf rd. 11 % erwartet. Das allein entspricht einem Mehr-Konsum von mehr als 70 Mrd. €, von dem ein Gutteil im Jahr 2021 in den Einzelhandel und hier auch wieder in den stationären Einzelhandel fließen dürfte. So wurden auch in dem sehr besonderen Einzelhandelsjahr 2020 insgesamt noch mehr als 8 von 10 Euro Einzelhandelsumsatz nicht online, sondern stationär ausgegeben – allerdings mit erheblichen Unterschieden bei den verschiedenen Sortimenten.

Der Kahlschlag einer ganzen Unternehmensgeneration muss vermieden werden
Schaue man über den Tellerrand der aktuellen Tristesse hinweg, werde es für viele Einzelhandelsbetreiber perspektivisch durchaus wieder Rückenwind geben - so sie denn die aktuelle außerordentliche Krisensituation überstehen. Das ist allerdings der springende Punkt und hier ist namentlich die Politik in der Pflicht, dem durch die Corona-Krise und Lockdown drohenden Kahlschlag einer ganzen Retail-Unternehmensgeneration mit geeigneten Maßnahmen effektiv entgegenzutreten.
Dieses vorausgesetzt werden sich im Verlaufe des Jahres für expansionswillige Retailer wie auch (eigen-)kapitalstarke Investoren und Developer im aktuellen Mieter- bzw. Investmentmarkt in den guten Innenstädten eine ganze Reihe von Anmietungs-, Ankaufs- und Entwicklungschancen ergeben. So viele, wie schon lange nicht mehr!








Leserumfrage
Wir schätzen Ihre Expertenmeinung!
Hier ist unsere Leserumfrage:
schnell & unkompliziert
Jetzt starten!