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17.07.2020 Wird die Nachfrage nach Büros wirklich spürbar sinken?

Aktuell wird zunehmend versucht, sowohl kurz- als auch langfristige Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Büromärkte abzuschätzen. Es mehren sich Stimmen, die stark negative Entwicklungen der Mieten und Kaufpreise voraussagen. Teilweise werden im laufenden Jahr Mietpreisrückgänge von bis zu 20 % und Kaufpreisrückgänge von bis zu einem Drittel vorhersagt. „Aus Sicht von BNP Paribas Real Estate können diese Einschätzungen aber weder durch die aktuell auf den Büromärkten zu beobachtenden Mietvertragsabschlüsse und -verhandlungen noch durch die bereits im 2. Quartal wieder getätigten Transaktionen belegt oder gestützt werden“, sagt Wolfgang Schneider, Head of Research von BNP Paribas Real Estate Deutschland.

Mietpreise: Die richtige Interpretation von Ursache und Wirkung

Zu Recht wird in der Regel zwischen konjunkturellen und strukturellen Einflüssen und Auswirkungen unterschieden. Und unbestritten ist, dass die gesamtwirtschaftliche Entwicklung unmittelbar und vor allem kurzfristig an den Märkten zu spüren ist. Allerdings zeigt die Analyse der historischen Marktsituation auch, dass die Entwicklung der einzelnen Marktparameter unterschiedlichen Einflussfaktoren unterliegt. Während die Nachfrage- und damit die Umsatzentwicklung verständlicherweise eine enge Korrelation zur Konjunktur und BIP-Entwicklung aufweist, wird die Mietpreisentwicklung in erster Linie von der Angebots- und Nachfrage-Relation bestimmt. „Mit anderen Worten: Wie stark die Mieten bei schwacher BIP-Entwicklung reagieren, hängt nicht nur von der Konjunktur selbst, sondern wesentlich stärker vom Angebot und damit der Wettbewerbssituation ab, auf welche die durch die Konjunktur ausgelöste schwächere Nachfrage trifft. Bei einer Überangebotssituation reagieren die Mietpreise demzufolge häufig stärker, als es durch die rückläufige Nachfrage allein zu erklären wäre. Die richtige Interpretation von Ursache und Wirkung spielt deshalb eine entscheidende Rolle“, erläutert Schneider.

Leerstandsraten weiterhin niedrig

Während beim diesjährigen Flächenumsatz aufgrund der zu erwartenden Rezession gravierende Rückgänge zu erwarten sind, stellt sich die Situation bei der Mietpreisentwicklung differenzierter dar. Im Vergleich zur Finanzkrise liegen die Leerstände aktuell durchschnittlich um über die Hälfte niedriger, und auch unter Einbezug der Bautätigkeit ist das Gesamtangebot anmietbarer Büroflächen nur gut halb so groß. Gleichzeitig bewegen sich die Leerstandsraten in den meisten Städten auf historisch niedrigem Niveau. Auch während der Dotcom-Krise Anfang der 2000er Jahre waren die Märkte von einem viel größeren Angebot und einer deutlich angespannteren Angebots- und Nachfrage-Relation gekennzeichnet. Daran, dass Mieter, die größere moderne Flächen in den bevorzugten Lagen suchen, häufig gezwungen sind, bis zu zwei Jahre vorher zu beginnen und oft auf Projektentwicklungen ausweichen müssen, wird sich demzufolge auch die nächsten Quartale kaum etwas ändern. Modellrechnungen von BNP Paribas Real Estate zeigen, dass selbst bei einem sehr deutlichen Rückgang der Flächenumsätze (nicht nur 2020, sondern auch noch 2021) die Leerstandsraten lediglich auf ein im historischen und internationalen Vergleich moderates Niveau klettern werden. Berücksichtigt man weiterhin, dass selbst während der Finanzkrise die Spitzenmieten im Schnitt nur um rund 6 % und die Durchschnittsmieten um knapp 3 % nachgegeben haben, gibt es aktuell weder empirische noch modellhafte Hinweise, die auf Mietpreisrückgänge von bis zu 20 % hindeuten.

Große Investoren weiterhin positiv gestimmt

Während des Lockdowns getätigte Core-Transaktionen sowie aktuell bevorstehende Verkäufe, für die Preise auf Vor-Corona-Niveau bezahlt werden, unterstreichen, dass gerade große Investoren mit entsprechend langjähriger Marktexpertise und Research-Kapazitäten in ihren Analysen zu einer vergleichbaren Einschätzung kommen. Vor diesem Hintergrund sind auch avisierte Kaufpreisrückgänge in einer Größenordnung von bis zu 35 % nur schwer nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr, wenn man gleichzeitig noch das unverändert günstige Finanzierungsumfeld und die kaum vorhandenen Anlage-Alternativen berücksichtigt.

Sorgt Home-Office für einen Mietpreis-Rückgang?

Für die auch mittel- und langfristig negative Einschätzung zur Mietpreisentwicklung werden dagegen in der Regel zusätzlich strukturelle Veränderungen unterstellt, vor allem eine deutliche Ausweitung des Home-Office. Wesentliche Gründe für eine solche Tendenz, die in der aktuellen Diskussion immer wieder angeführt werden, sind, dass die aus der Not heraus geborene Home-Office-Phase während des Lockdowns besser als erwartet funktioniert hat und dass gerade jüngere Mitarbeiter einen umfangreichen Ausbau von Home-Office und eine damit verbundene Flexibilität ohnehin bevorzugen würden. Die erfreuliche Konsequenz hieraus wäre, dass die Unternehmen spürbar weniger Bürofläche benötigen und damit Kosten reduzieren würden.

Diese auf den ersten Blick verlockend erscheinende Win-win-Situation bedarf aber einer vertieften Analyse, um die Tragweite und Veränderungen, die mit einer strukturändernden Ausweitung von Home-Office einhergehen (können), sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht bewerten zu können.

Vermeintlich einfach nachvollziehbar und kausal erscheinen die Kosten-Einspareffekte. Wenn zukünftig die Beschäftigten einen Großteil ihrer Arbeitszeit im Home-Office verbringen und nicht mehr zeitgleich im Büro sind, braucht man weniger Arbeitsplätze und damit weniger Fläche. Oder anders ausgedrückt, der Flächenbedarfsschlüssel kann beispielsweise auf 0,7 oder 0,8 pro Mitarbeiter gesenkt und die angemietete Bürofläche entsprechend reduziert werden. Umsetzbar sind derartige Ansätze aber nur bei gleichzeitiger Einführung von „Desk-Sharing“- oder „Hot-Desking“-Konzepten, d. h., jeder Mitarbeiter bekommt, wenn er im Büro erscheint, einen ständig wechselnden Arbeitsplatz zugewiesen.

Wird sich Desk-Sharing durchsetzen?

Ob die Mitarbeiter ein sich permanent veränderndes Arbeitsplatzumfeld im Büro wirklich begrüßen und es (wie häufig postuliert) als flexibel, kreativ und selbstbestimmter empfinden, ist nicht eindeutig belegt und hängt auch davon ab, wen man fragt. Während HR-Abteilungen von großen Corporates, die dieses Konzept bereits eingeführt haben, die großen Vorzüge und eine gestiegene Mitarbeiterzufriedenheit hervorheben, kommt in vielen persönlichen und informellen Gesprächen mit „betroffenen“ Mitarbeitern häufig eine erhebliche Unzufriedenheit und vor allem ein Identifikations- und Bindungsverlust zum Unternehmen sowie zu Kolleginnen und Kollegen zum Ausdruck. Letztendlich bleibt es aber eine noch unbeantwortete Frage, ob sich Hot-Desking in größerem Umfang umsetzen lässt oder nicht. Dass Mitarbeiter aber zufriedener sind, wenn sie persönliche Gegenstände aufstellen und damit ihre Büroumgebung teilweise mitgestalten können, ist bei vielen Experten allerdings unumstritten.

Home-Office: Viele Fragen müssen noch geklärt werden

Losgelöst von der skizzierten „Glaubensfrage“ sind aber weitere Aspekte zu berücksichtigen, die zu monetären und nur schwer kalkulierbaren Belastungen für Unternehmen führen können. Dazu gehören nicht zuletzt teilweise noch nicht abschließend geklärte rechtliche Fragen im Zusammenhang mit Home-Office. Wann und in welchem Umfang muss der Arbeitgeber beispielsweise die Büroausstattung dafür bezahlen? Und wie garantiert er, dass der Home-Arbeitsplatz den Anforderungen der Arbeitsstättenverordnung entspricht, wenn Home-Office im Arbeitsvertrag geregelt ist – was bei einem Desk-Sharing-Konzept vermutlich unabdingbar wäre. Muss der Mitarbeiter beispielsweise einer Überprüfung seiner Wohnung durch den Arbeitgeber zustimmen? In diese Thematik spielen außerdem Aspekte der Gleichbehandlung hinein. Nicht jeder Mitarbeiter verfügt über ausreichend Platz, um sich einen den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Arbeitsplatz zu Hause einzurichten – und selbst wenn dieser vorhanden ist, passt oft das familiäre Umfeld nicht, um das Arbeitsumfeld optimal zu gestalten. Wer entscheidet also, welcher Mitarbeiter im Home-Office arbeiten kann bzw. darf, und wie werden mögliche Vor- oder Nachteile zwischen den Angestellten ausgeglichen?

Nicht zu unterschätzen sind Datenschutz und -sicherheit. Mehr elektronischer Datenverkehr erhöht automatisch das Risiko für Cyber-Attacken, und nicht jeder Mitarbeiter ist IT-Experte und kann Risiken und potenzielle Einfallstore, gerade im eigenen häuslichen Umfeld, richtig einschätzen. Auch versicherungstechnische Fragen sind ein schwieriges Thema, da die Abgrenzung, wann es sich um einen Arbeitsunfall handelt, im häuslichen Umfeld immens schwierig ist. Der Gang zur Kaffeemaschine zählt vermutlich zur Arbeit, die Annahme der Post wahrscheinlich nicht. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen kann die Organisation von umfangreichem und regelmäßigem Home-Office neben den Anschaffungskosten für die Büroausstattung also eine erhebliche administrative Belastung und zusätzliche Kostenposition darstellen.

Bleibt das Teamgefühl auf der Strecke?

Wichtiger als die angesprochenen organisatorischen Anforderungen ist aber die Sicherstellung der Arbeitsqualität und -effektivität. Wie garantiert man bei einer deutlichen und regelmäßigen Ausweitung von Home-Office einen ausreichenden Wissenstransfer zwischen den Mitarbeitern? In der aktuellen Transformation der Gesellschaft sind Informationsaustausch und kontinuierliches Lernen elementare Bestandteile für unternehmerischen Erfolg. Studien belegen, dass dies weit weniger in offiziellen Meetings (die man natürlich online organisieren kann) passiert, sondern überwiegend in informellen Gesprächen, sei es in der Teeküche, auf dem Flur, in der Mittagspause oder im Gespräch zwischendurch mit dem Tischnachbarn. Diese spontanen, für den Unternehmenserfolg aber unerlässlichen Situationen, sind im Home-Office nicht gegeben. Noch deutlicher wird dies beim Onboarding von neuen, vor allem jungen Kolleginnen und Kollegen. Wie soll bei großem Home-Office-Anteil die so wichtige kontinuierliche Rückkopplung in den ersten Jahren sichergestellt und ein echtes Wir- und Teamgefühl erzielt werden? Und wie schafft man es, das Potenzial von talentierten, aber eher introvertierten Mitarbeitern zu wecken, die sich schwertun, in Online-Konferenzen oder nur noch sporadischen persönlichen Treffen Initiative zu ergreifen? Diese Beispiele zeigen aus Sicht von BNP Paribas Real Estate deutlich auf, worin die eigentliche Herausforderung bei einem überproportionalen Einsatz von Home-Office zu sehen ist. Erfolgreiche Unternehmen sind auf eine hohe Unternehmensidentifikation ihrer Mitarbeiter angewiesen. Nur so sind langfristig erfolgreiche Teamstrukturen aufzubauen und eine übermäßige Fluktuation zu verhindern. Durch einen hohen Anteil individualisierter Arbeit im häuslichen Umfeld bei gleichzeitig spürbar verringerten persönlichen Kontakten und Austausch, sowohl mit Kolleginnen und Kollegen als auch mit Vorgesetzten, wird die Mitarbeiterbindung erheblich schwieriger. „In Zeiten, in denen der ‚War for Talents‘ aufgrund der übergeordneten demographischen Entwicklungen langfristig weiterhin Bestand haben wird, auch wenn er sich durch die Corona-Pandemie temporär etwas entspannen dürfte, stellt es demzufolge ein realistisches Risiko dar, dass die Identifikation mit dem Unternehmen tendenziell sinken könnte“, ist sich Wolfgang Schneider sicher.

Und last but not least sollte berücksichtigt werden, dass bestimmte Arbeitsabläufe durch verstärkte Home-Office-Tätigkeit möglicherweise an Effektivität verlieren und Kreativpotenziale verlorengehen können. Eine Reihe großer Rechtsanwaltskanzleien, mit denen sich BNP Paribas regelmäßig im engen Austausch befindet, stellen aktuell zum Beispiel fest, dass sich viele Prozesse ihrer Kunden durch mehrmaliges Hin- und Herschicken von Dokumenten, zusätzlichen Abstimmungsrunden etc. spürbar verlängern und zu signifikanten Kostensteigerungen führen. Steigerungen um bis zu plus 15 % sind dabei keine Seltenheit. Und auch die Vorstellung, dass Büros zukünftig nur noch Orte des kreativen Austauschs sein könnten, haben so ihre Tücken. Dass alle Teammitglieder z. B. regelmäßig am Dienstag und Mittwoch auf Knopfdruck gemeinsam kreativ sind, entspricht nicht der gefühlten Lebenserfahrung.

Risiken werden oft nicht ausreichend abgebildet

Die Ausführungen zeigen, dass eine starke Ausweitung von Home-Office weitaus komplexer ist, als vielfach dargestellt. Mit einfachen Analogieschlüssen, wie „Home-Office funktioniert, dann braucht man ja weniger Fläche, was die Bürokosten reduziert, und wenn scheinbar immer mehr Menschen zu Hause arbeiten wollen sind wir auch noch modern“ werden vorhandene Risiken jedenfalls nicht ausreichend abgebildet. Nach Einschätzung von BNP Paribas Real Estate werden auch große Corporates, die vermutlich die wichtigste Zielgruppe für derartige Konzepte darstellen, nach anfänglicher Euphorie über Einsparpotenziale eine intensive Analyse möglicher Auswirkungen vornehmen und erst darauf aufbauend finale Entscheidungen treffen. Für kleine und mittlere Unternehmen, bei denen das Wir-Gefühl und der persönliche Austausch eine noch größere Rolle spielen, kommen hohe Anteile von Home-Office Arbeit vermutlich nur im Einzelfall in wenigen Branchen in Betracht.

Nicht zu leugnen ist aber auch, dass gerade jüngere Generationen häufig eine stärkere Verbindung von unterschiedlichen Lebensbereichen anstreben. Hierzu gehört eine größere Flexibilität hinsichtlich der persönlichen Arbeitsgestaltung genauso wie ein attraktives Arbeitsumfeld. Dies schließt sowohl moderne, inspirierende Büroflächen als auch entsprechende Infrastruktur- und Freizeiteinrichtungen im Standortumfeld ein. Die vereinzelt angedachte Möglichkeit, Büros von den Innenstädten in die Vororte zu verlegen, wo Flächen günstiger sind, entspricht sicherlich nicht dem neuen Lebensgefühl und dürfte HR-Abteilungen vor große Herausforderungen stellen – losgelöst von der Frage der Erreichbarkeit mit ÖPNV oder Fahrrad und einem zusätzlichen Verkehrsaufkommen, das unter Nachhaltigkeitsaspekten kaum zu legitimieren wäre.

Kein hoher Rückgang von Büroflächen zu erwarten

Fasst man alle Einflussfaktoren und empirischen Erfahrungen zusammen, spricht aus heutiger Sicht vieles dafür, dass ein Ausbau des mobilen Arbeitens mit dem Ziel, die Zufriedenheit und Flexibilität der Mitarbeiter zu erhöhen und an neue Lebenswelten anzupassen, das wahrscheinlichste Szenario ist. Das bedeutet aber nicht automatisch einen Rückgang der Büroflächennachfrage insgesamt, da eingesparte Arbeitsplätze erfahrungsgemäß teilweise durch die Integration zusätzlicher Kommunikationszonen, Ruhezellen oder Telefon- und Meeting-Kabinen weitestgehend kompensiert werden. Ein deutlich geringerer Bedarf an Büroflächen im zweistelligen Prozentbereich erscheint vor diesem Hintergrund unwahrscheinlich. Außerdem sind gegenläufige Trends zu berücksichtigen, die aus den Erfahrungen mit der aktuellen Corona-Pandemie resultieren. Bereits heute denken sowohl Unternehmen als auch Architekten und Raumplaner darüber nach, wie man sich auch im Büro besser auf künftige Pandemien vorbereiten kann. Auch wenn hier noch keine allgemeingültigen Konzepte vorliegen, ist eins bereits absehbar: Besserer Schutz, auch im Büro, funktioniert nur mit mehr Platz.

„Als Ergebnis bleibt damit festzuhalten, dass ein nicht vollständig auszuschließender Rückgang des Büroflächenbedarfs im Saldo eher gering ausfallen dürfte und sich in Größenordnungen abspielen wird, die von normalen konjunkturellen Schwankungen der Nachfrage überlagert und damit vermutlich kaum quantitativ messbar wären“, fasst Wolfgang Schneider zusammen.





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