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30.04.2020 Corona ist ein Beschleuniger für globale Makrotrends

Es gibt keinen Corona-Schalter. Also auch kein „on“ und kein „off“. Der Weg in das von uns gekannte „normale“ Leben wird deshalb ein sehr langwieriges Unterfangen sein. Das „new normal“ muss zunächst entwickelt werden. Die Wiederbelebung der Ökonomie, die Rückkehr zu Dynamik und Wachstum sind eine weltweite Kraftanstrengung, die Realismus, Weitblick, eine klare Strategie, aber auch Flexibilität erfordern.

Wie schnell sich die Wirtschaft erholen wird, hängt zunächst davon ab, wie gut, aber auch wie schnell es gelingt, wirksame Medikamente gegen die Pandemie zu entwickeln. Ein wirklicher Normalzustand kann aber nur wieder eintreten, wenn es gelungen ist, einen ausreichenden Teil der Weltbevölkerung zu impfen.

Das Gebot der Stunde: Liquidität sichern

Weltweit fahren viele Unternehmen derzeit auf Sicht – auch in der Immobilienwirtschaft. Absehbar ist, dass das laufende Quartal einen drastischen Einschnitt in den Bilanzen verursacht. Das dritte Quartal wird sicherlich eine Linderung bringen und auch für den Rest des Jahres ist eine weitere Verbesserung zu erwarten. Ein Vergleich des absoluten Bruttosozialproduktes des 4. Quartals 2019 mit dem 4. Quartal 2020 wird uns allen aber das tatsächliche Ausmaß des Wirtschaftseinbruches zeigen.

Insofern gilt es, die Weichen richtig zu stellen. Priorität hat die Liquiditätssicherung. In der Immobilienbranche sind die Personalkosten zumeist der größte Kostenblock. Jedes Land bietet dazu unterschiedliche Ansatzpunkte, um einerseits die Talente und das Knowhow im Unternehmen zu halten und andererseits die Kosten zu senken. Von freiwilligem Lohnverzicht über verordneten bezahlten oder unbezahlten Urlaub bis hin zu staatlich geförderter Kurzarbeit wie in Deutschland. Entscheidend ist, dass die Arbeitsplätze erhalten werden, um nach der Krise wieder mit voller Stärke und eingespielten Teams arbeiten zu können – aber auch, um einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt zu leisten.

Zugleich ist ein effektives Finanzwesen wichtig, um Außenstände konsequent einzuholen. In Zeiten wie diesen, kann es sich kein Unternehmen erlauben, dass Rechnungen für bereits erbrachte Leistungen nicht zeitnah beglichen werden.

Neudefinition von Risiken

Nach Corona werden wir uns in einer Welt wiederfinden, die in vielen Punkten ganz anders sein wird als die, die wir bis vor wenigen Wochen kannten. Der Neustart der Wirtschaft wird lokaler, vorsichtiger und ernsthafter sein. Viele Menschen haben physische Erlebnisse der durchlaufenden Erkrankung und /oder auch die wirtschaftlichen Auswirkungen zu verarbeiten. Dazu kommt die mentale Belastung durch wochenlange Isolation, die nicht von allen Menschen einfach weggesteckt wird. Der gekannte Lebensstil, das soziale Miteinander, das Reisen und viele andere gelebte Gewohnheiten wurden unterbrochen. Auch der erlittene Vermögensverlust wird uns bei Neuanschaffungen und Investitionen zu größerer Sorgfalt und einer Neubewertung von Risiken veranlassen. Gerade bei Immobilieninvestitionen wurden in den vergangenen Jahren die Risiken von niedrigen Zinsen und möglichen Mietsteigerungen überdeckt.

Man wird das Qualitätssiegel Core wieder trennschärfer definieren müssen, aber auch die Assetklasse wird wieder eine größere Rolle bei der Risikokalkulation spielen. Am Ende definiert sich der langfristige Wert einer Immobilie von dem damit erzielbaren Cashflow. Eine Immobilie kann noch so schön sein, wenn es nicht genügend Mieter gibt, die sich die Miete der Wohnung oder der Bürofläche leisten können, dann wird es auch in solchen Gebäuden zu Anpassungen kommen müssen. Erinnert sei an die Zimmerraten in 5-Sterne Hotels nach der Finanzkrise. Knappheit kann nur über einen bestimmten Zeitraum die Korrelation zur Prosperität der Wirtschaft überdecken.

Makrotrends werden die Immobilienwelt auch nach Corona prägen

Vier globale Makrotrends, die auch das „new normal“ prägen werden, kennen wir aus der Vor-Corona Zeit: Wachsende internationale Kapitalströme, Outsourcing von Corporate Real Estate Services, Digitalisierung und Urbanisierung. Alle werden sich aber mehr oder weniger stark verändern.

Die globalen Kapitalströme werden auch weiterhin über Kontinente hinweg in Immobilien fließen. Das Niedrigzinsumfeld und die erhöhte Volatilität der Finanzanlagen sprechen für eine Portfoliodiversifizierung und zusätzliche Investitionen in Immobilien. Lokale Regulierung und verlässliche Governance werden aber einen höheren Stellenwert bekommen. Transparenz wird noch wichtiger und transparente Märkte werden erheblich mehr Kapital als weniger transparente anziehen.

Der Trend zum Outsourcing wird sich noch zusätzlich beschleunigen. In vielen Unternehmen hat die Liquiditätssicherung höchste Priorität, entsprechend werden Kosten im eigenen Leistungsportfolio eingespart. Nutzer werden daher zunehmend auf Immobiliendienstleistungen durch Dritte zurückgreifen und ihre Aufmerksamkeit auf die Stabilisierung ihres eigenen Kerngeschäfts legen.

Gleichzeitig werden die Anforderungen an die Immobilien und deren Betrieb erheblich ansteigen. Flexibilität in den Flächen und Gebäuden, Zugangssicherungen, technische Ausstattung wie Luftwechsel, Filteranlagen sind nur einige Aspekte, die viel stärker in den Fokus rücken werden. Der Anspruch an den Gebäudemanager wird nicht nur beim Wiederanfahren nach der Krise hinsichtlich der sanitären und gesundheitsbezogenen Überwachung steigen.

Datenschutzrechtliche Bedenken, die hier in Deutschland zumeist im Weg stehen, werden neu diskutiert werden. Sensoren, die Infrarot-Scans durchführen, um in Echtzeit Risikopersonen zu identifizieren und Warnmeldungen versenden, sind in vielen Ländern Asiens nach der Corona Epidemie verpflichtend geworden.

Die Corona Pandemie hat Unternehmen den Spiegel im Hinblick auf ihre technische Infrastruktur vorgehalten. Daneben wurden alle Unternehmen dem Stresstest unterzogen, inwieweit sie ihre Produkte und Services auch online verkaufen und liefern können. JLL musste beispielsweise innerhalb von zehn Tagen mehr als 50.000 Mitarbeiter ins Homeoffice schicken. Auch alle shared service- und call-center mussten auf diese Weise ohne jede Unterbrechung für den Kunden operieren. Gleiches galt für die Verbindung zu mehr als 40.000 Mitarbeitern, die ihren festen Arbeitsplatz in Kundenimmobilien haben. Bei den Firmen, bei denen das alles nicht so gut funktioniert hat, wird es zu einer massiven Investitionsinitiative kommen. Aber auch bei allen anderen wird die Digitalisierung mit großen Schritten voranschreiten. Eine intelligente Infrastruktur, von der Datenverfügbarkeit über die Sensortechnologie bis zur Automatisierung ganzer Arbeitsprozesse, wird zum festen Bestandteil unserer Lebens- und Arbeitsweise werden. Dieser Trend ist bereits seit einigen Jahren sichtbar – Corona wirkt jetzt wie ein Beschleuniger, die Schritte der nächsten 20 Jahre werden wir in fünf Jahren gehen.

Städte werden die Krisensituation künftig strategisch einplanen

Vor diesem Hintergrund wird sich die Urbanisierung trotz der aktuellen Restriktionen nicht verlangsamen – aber sie wird ein Umdenken in der Stadtplanung erzwingen. Städte bieten eine hohe Anziehungskraft in Bezug auf Arbeit und Lebensqualität. Diese Kombination wird aktuelle Befürchtungen zur Ansteckungsgefahr in urbanen Gebieten schnell wieder übertrumpfen.

Dennoch wird die Notwendigkeit wachsen, wirklich skalierbare und intelligente Lösungen urbanen Lebens zu entwickeln – wie zum Beispiel den Einsatz von Technologie zur Kontrolle von Gesundheit und Mobilität.

Die Corona-Krise könnte außerdem zu mehr öffentlichen und privaten Investitionen in die städtische Infrastruktur wie sanitäre Einrichtungen, Schulen oder Krankenhäusern führen. Regierungen und Gesellschaft wird die Bedeutung der Gesundheitssysteme in diesen Tagen schockartig bewusst. Das rückt den Bedarf an qualitativ hochwertigeren Einrichtungen und Dienstleistungen wieder stärker in den Mittelpunkt. Interessanter Weise könnte gerade dieser Aspekt zu einer Beschleunigung der Urbanisierung führen. Menschen werden viel stärker den Aspekt der öffentlichen Infrastruktur im Bereich Gesundheit als Differenzierungsfaktor ihres Aufenthaltsortes schätzen.

Es keimt somit die Hoffnung auf, dass möglicherweise ein fünfter Megatrend Einzug in die Immobilienwelt halten wird: die Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit nicht als Feigenblatt für die bessere Vermietung oder den Verkauf einer Immobilie, sondern als Kernanforderung an jedes Gebäude. Als Beitrag der Immobilie für eine bessere und gesündere Welt. Nachhaltigkeit in Denken und Handeln für eine lebenswertere Gemeinschaft, intakte sozial Interaktion in urbanen Räumen.

Für einen kleinen, aber dauerhaften Beitrag zur Verbesserung des Weltklimas hat die Corona-Pandemie schon gesorgt. Denn die Reisebudgets der Firmen werden auch in Zukunft eingeschmolzen bleiben. Der Erfolg der Videotelefonie wird nachhaltigen Einfluss nehmen. Mit New York, Rio, Tokio wird man weiterhin in Kontakt bleiben – aber zukünftig noch häufiger nur virtuell.

Auf die US-Wirtschaft kommt es an

Doch auch alle diese Trends und Entwicklungen können sich nur dann wieder voll entfalten, wenn die wirtschaftliche Prosperität zurückkommt. Erst die Medikamente und dann der Impfstoff sind die Grundvoraussetzungen, aber darüber hinaus bedarf es eines starken Motors. China mag zwar kurzfristige relative Gewinne aus der weltweiten Pandemie ziehen, dennoch insgesamt wird es vor allem davon abhängen, wie schnell die USA und ihre Wirtschaft ein Comeback feiern. Sie sind nach wie vor der Taktgeber für die Weltwirtschaft und damit auch für die Immobilienbranche.

Die Immobilienwirtschaft selbst ist nun für die ersten konkreten Schritte gefragt, nämlich Strategien zu entwickeln, wie der Betrieb in den Büros, im Handel und allen anderen Bereichen sinnvoll und mit Augenmaß wieder hochgefahren werden kann, um das „new normal“ zum Alltag zu machen. Gehen wir die nächsten Monate mit Optimismus und Kreativität an.

(Kommentar von Christian Ulbrich, President und Global CEO JLL)






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