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24.03.2020 Mieterschutz in Zeiten von Corona

Nachstehend eine Stellungnahme zum Mietenmoratorium in der Corona-Krise, bereitgestellt von den Autoren Prof. Dr. Harald Simons, Dr. Reiner Braun, Ludger Baba der empirica ag aus Berlin.

1. Tenor

• Haushalte ohne oder mit geringem Einkommen:
Kosten der Unterkunft (KdU) werden in jeder Höhe für sechs Monate vom Jobcenter übernommen (=geltendes Recht) – schnelle Bearbeitung neuer Fälle nötig. Erst zahlen – dann prüfen.
• Zügige, pauschalierte Erhöhung Wohngeld und Mietobergrenzen (KdU).
• Kein 3-monatiges Mietmoratorium – statt dessen Erhöhung des maximalen Verzugsbetrages auf 3, 4 oder 5 Monate, bevor gekündigt werden kann (§543 Abs. 2, Pt. 3 b BGB).
• Wohnkreditfonds mit Vermögensabgabe

2. Vorbemerkung

Die Zahl der Corona-Infizierten steigt in Deutschland und weltweit täglich weiter an. Die Entwicklung ist dramatisch. Die Wirkung der physischen Kontaktverbote lässt sich – Stand 23.3.2020 – noch nicht abschätzen, aber Wuhan, Südkorea und vielleicht auch Italien machen Hoffnung. Hoffentlich.

Selbst aber wenn es damit gelänge, die Pandemie jetzt wieder einzugrenzen, so wird es noch Monate dauern, bis genügend Menschen dank überstandener Erkrankung immun sind und eine Impfung in genügender Zahl zur Verfügung steht. Eine tiefe Rezession ist unausweichlich. Zahlreiche Menschen werden ihre Arbeitsplätze verlieren, weitere größere oder kleinere Teile ihres Einkommens. Alle Menschen werden Wohlfahrtseinbußen hinnehmen müssen – der gestrichene Sommerurlaub auf Mallorca wird Teil davon sein.

Die Folge wird sein, dass viele Menschen in Zahlungsschwierigkeiten kommen werden und damit Mietrückstände auflaufen werden. Die Politik sucht dafür zu Recht Lösungen, niemand soll fürchten müssen, seine Wohnung zu verlieren ausgerechnet in Zeiten einer mehr oder minder geltenden Ausgangsperre.

Die Politik verändert sich derzeit täglich in allen Bereichen, was angesichts der Geschwindigkeit der Entwicklung nicht zu kritisieren ist. Was vorhin noch richtig war, kann morgen schon großen Schaden angerichtet haben.

Glücklicherweise ist der Veränderungstakt im Mietwohnungsmarkt nicht ganz so hoch. Mietrückstände führen zwar zu einer fristlosen Kündigung, aber dazu müssen die Mieter zwei Monatsmieten im Verzug sein, bevor der Vermieter berechtigt ist zu kündigen. Ernste Schäden können daher Mietrückstände frühestens mit den Mietzahlungen zum 1. Mai verursachen. Dies ist – in heutigen Zeiten – noch vergleichsweise lang hin. Um eine Lösung für das Problem der Mietrückstände zu finden, bleiben noch zwei oder drei Wochen. Die sollte sich die Politik auch Zeit nehmen.

3. Sicherheitsnetz 1: Einkommensersatz

Zur Verhinderung von Mietrückständen und der Kündigung von Wohnungen sind bereits eine Reihe von Sicherheitsnetzen gespannt worden.

Die wichtigsten sind sicherlich die bereits beschlossenen oder angekündigten Maßnahmen zum Einkommensersatz – von Kurzarbeitergeld über Kredite für kleine und große Unternehmen bis hin zu Hilfen für Freiberufler und Selbständige. Diese Hilfen sollen recht umfangreich ausfallen. Hinzu kommen flexible Lösungen, die zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern derzeit vereinbart werden, z.B. die Nutzung von Arbeitszeitkonten, das Zulassen von Unterstunden, die Anrechnung von Urlaubstagen.
Neben den neuen Instrumenten zum Einkommensersatz greifen natürlich weiterhin die bestehenden Instrumente der sozialen Sicherung, insbesondere das Arbeitslosengeld I und II.

4. Sicherheitsnetz 2: Mietzuzahlungen

Sinkt das Einkommen des Haushalts unter bestimmte Grenzen, hat der Haushalt zunächst Anrecht auf Wohngeld – die Höhe ist abhängig von Haushaltsgröße, Einkommen und Region. Das Wohngeld ist ein Zuschuss zur Mietzahlung mit einer Obergrenze bei der Miethöhe

Die durchschnittliche Wohngeldzahlung beträgt zwar derzeit nur rund 150 €/Monat, was auf den ersten Blick gerade in Städten mit hohen Mieten als kaum ausreichend erscheint. Aber die bisherigen durchschnittlichen Wohngeldzahlungen können kein Indikator für die nun zu erwartenden Wohngeldzahlungen sein. Die dürften im Mittel höher ausfallen, da nun auch vermehrt Mieter mit vergleichsweise hohen Mieten Anspruch auf Wohngeld erwerben – Haushalte, die ihre hohe Miete dank bislang vergleichsweise hoher Einkommen auch ohne Schwierigkeiten zahlen konnten –.
Sinkt das Einkommen noch weiter, bis hin dazu, dass das Einkommen ausbleibt, so hat der Haushalt Anrecht auf die Übernahme der Kosten der Unterkunft (KdU) im Rahmen des Arbeitslosengeld II (SGB II). Zwar existieren hier auch Obergrenzen in der Höhe der Übernahme durch die Jobcenter. Diese aber greifen nicht sofort, vielmehr müssen die Jobcenter zunächst die Kosten der Unterkunft vollständig übernehmen – auch wenn es sich dabei um eine Luxuswohnung handeln würde.

Eine Kürzung der Übernahme der Kosten der Unterkunft (KdU) durch das Jobcenter ist erst möglich, nachdem das Jobcenter den Haushalt aufgefordert hat, seine Wohnkosten zu senken (z.B. durch Untervermietung, Senkung Nebenkosten, Bezug neuer Wohnung) und dem Haushalt sechs Monate Zeit dafür gegeben hat. Bis dahin hat das Jobcenter die Kosten der Unterkunft zu übernehmen. Verliert also jetzt ein Haushalt corona-bedingt sein Einkommen, so kann ihm frühestens zum Oktober die Übernahme der Miete + Nebenkosten verweigert werden – wenn das Jobcenter ihn sofort auffordern würde.

Im Ergebnis besteht für Haushalte mit radikalen Einkommensverlusten bis mindestens in den Herbst 2020 hinein keine Gefahr, relevant in Mietrückstand zu kommen.
Für Haushalte mit nicht ganz so deutlichen Einkommensverlusten – sodass sie nur Anspruch auf Wohngeld haben – ist die Lage in den nächsten Monaten nicht ganz so abgesichert. Hier sollte die Politik die Wohngeldobergrenzen erhöhen, wie sie es bereits angekündigt hat.

Insgesamt sind damit die derzeitigen sozialen Sicherungssysteme inklusive der bereits angekündigten Verbesserungen beim Wohngeld ausreichend, um Mietern mit – hoffentlich nur vorübergehend - niedrigen Einkommen vor Mietrückständen zu bewahren.

Entscheidend sind daher jetzt weniger weitere Verbesserungen als die zügige Auszahlung an anspruchsberechtigte Haushalte. Hier sollte jetzt der Grundsatz gelten: erst zahlen, dann genau prüfen. Ungerechtfertigte Auszahlungen später können zurückgefordert werden.

5. Einschränken des Sonderkündigungsrechts

Das größere Problem besteht für Haushalte, die zwar einen Einkommensverlust hinnehmen müssen, dieser aber nicht so deutlich ausfällt, dass sie zum Bezug von Wohngeld oder gar KdU berechtigt wären. Dies dürften in der Tendenz Haushalte sein, die bislang ein auskömmliches Einkommen hatten und entsprechend auch nicht in sehr günstigen (KdU-fähigen) Wohnungen wohnen. Es dürfte sich z.B. um Haushalte handeln, die nun erstmals Arbeitslosengeld I (60% des letzten Einkommens) beziehen.
Für diese Gruppe kann die jetzige Entwicklung fatal werden. Einerseits haben sie eine vergleichsweise hohe Miete zu zahlen, andererseits aber ist das Einkommen nicht hinreichend gesunken, als das das Jobcenter die Kosten der Unterkunft übernimmt oder sie zumindest über das Wohngeld einen Zuschuss erhalten.

Diese Gruppe wird zunächst ihre Rücklagen – sofern vorhanden – aufbrauchen, aber früher oder später Mietrückstände aufbauen.

Derzeit wird daher diskutiert, das Sonderkündigungsrecht des Vermieters bei Mietrückständen auszusetzen (Mietenmoratorium). Mieter, die ihre Mieten in den Monaten April, Mai, Juni 2020 nicht zahlen, können nicht gekündigt werden und müssen innerhalb von 24 Monaten den Mietrückstand zurückzahlen. Voraussetzung wäre eine „Glaubhaftmachung“, dass die Zahlungsschwierigkeiten pandemiebedingt sind.

Dieses Mietenmoratorium aber setzt die falschen Anreize. Insbesondere setzt es den Anreiz, die Miete in den nächsten drei Monaten auch dann in Gänze nicht zu zahlen, obwohl das noch vorhandene Einkommen ausreicht, wenigsten einen Teil der Miete und Nebenkosten zu zahlen. Dies wäre auch rational aus Sicht der Mieter: „Besser diese Liquidität erstmal zurückhalten, man weiß ja nicht, was noch kommt“. Nochmals der Hinweis: wenn das Einkommen auf Null sinkt, dann werden die Kosten der Unterkunft vollständig von den Jobcentern übernommen.

Das zweite Problem des Mietenmoratoriums: Es baut darauf, dass nach drei Monaten die Einkommen der Mieter wieder hoch genug sind. Wenn dies aber nicht der Fall ist, so wird das Mietenmoratorium verlängert werden.

Besser wäre daher, nicht ein Mietenmoratorium einzuführen, das nur die Nicht-Zahlung der Mieten für April, Mai und Juni zulässt, sondern den höchstmöglichen Mietrückstand auf drei oder vier oder fünf Monate zu erhöhen. Konkret hieße dies, §543 Abs. 2, Punkt 3 b) BGB, zu ändern in
„Ein wichtiger Grund liegt dann vor, wenn der Mieter […] mit der Errichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für drei (oder vier, fünf) Monate erreicht.“

Dies würde dem Mieter den Anreiz lassen, soviel wie eben möglich seiner Miete zu zahlen. Gleichzeitig wäre dann in den meisten Fällen für eine Verlängerung der Regelung vorgesorgt.

6. Wohnkreditfonds für Vermieter

Der Ausfall der Mietzahlungen, teilweise oder nicht, wird die Vermieter unter Liquiditätsdruck setzen.

Dies wird zum einen dazu führen, dass einige Vermieter selbst in Zahlungsschwierigkeiten gegenüber Banken, Müllabfuhr und Gasversorgern kommen und sich damit auch an anderen Stellen Zahlungsrückstände aufbauen. Es darf dabei nicht vergessen werden, dass der typische Vermieter in Deutschland der Kleinvermieter mit nur einer oder wenigen Wohnungen ist.

Zum zweiten würden die Vermieter nach Ablauf des Mietenmoratoriums darauf drängen, dass die Mietrückstände sehr schnell ausgeglichen werden und damit wieder den Mieter unter Druck setzen.

Beides ließe sich mit einem Wohnkreditfonds beheben. Der Fonds kauft – analog zu EZB – die Forderungen der Vermieter gegenüber ihren Mietern auf. Damit ist die Liquidität der Vermieter gesichert und damit bauen sich keine Zahlungsrückstände in anderen Bereichen auf. Auch würden die Vermieter weiterhin in ihre Bestände investieren.

Der Fonds wird dann versuchen, die Forderungen von den Mietern einzubringen. Dies kann je nach Dauer der Krise über einen kürzeren oder längeren Zeitraum erfolgen und je nach Einkommen der Mieter gestreckt werden. Die Prinzipien der BaFöG Darlehen können hier Pate stehen.

Da davon auszugehen ist, dass nicht alle Forderungen einbringlich sind, wird der Fonds mit einem Verlust nach z.B. fünf Jahren abschließen. Je nach Höhe der uneinbringlichen Forderungen, könnten diese Verluste dann durch eine Vermögensabgabe auf alle Vermieter / Grundeigentümer ausgeglichen werden.

Elementar wichtig ist aber, die individuelle, schuldrechtliche Beziehung Mieter-Vermieter zu unterbrechen. Andernfalls droht eine Vielzahl an Zahlungsausfällen seitens der Vermieter, mit der Folge von Zwangsversteigerungen, drastischem Preisverfall und in Folge einer zusätzlichen Bankenkrise.









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