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01.11.2019 Bonjour Lagarde! Welches Erbe tritt die Französin an?

Anfang November tritt Christine Lagarde die Nachfolge von Mario Draghi an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) an. Doch welches Erbe hat der Italiener der Französin hinterlassen? Wer nur auf das Offensichtliche, und somit auf die nackten Zahlen zu Draghis Amtszeit als EZB-Präsident schaut, wird zum Schluss kommen müssen, dass er gescheitert ist. Denn die Inflation, das eigentliche Mandat der EZB, hat zu keinem Zeitpunkt in dieser Periode das Ziel von zwei Prozent erreicht. Gleichzeitig war das Wachstum im gesamten Euroraum, aber auch in den stärksten Regionen des gemeinsamen Währungsgebiets, moderater als in der Wirtschaft der Vereinigten Staaten. Der Arbeitsmarkt hat in den letzten Jahren zwar einen anhaltenden Aufschwung verzeichnet, aber mit außerordentlicher Verlangsamung auf die Krise der Jahre 2008 bis 2011 reagiert, was sich auf die Lohndynamik bei den meisten Bürgern der Euro-Zone ausgewirkt hat.

In einem kürzlich erschienenen Interview mit der „Financial Times“ beanspruchte Draghi aber die Anerkennung für den Sieg im Kampf um den Euro. Denn dieses Ergebnis war keinesfalls sicher, wurde doch vor allem im Sommer 2012 die Furcht mehr als konkret, dass die Gemeinschaftswährung unter dem Gewicht ihrer inneren Widersprüche versinken könnte. Vor diesem Hintergrund ist dann das Draghi-Spiel gereift, das durch die berühmte „Whatever it takes“-Rede symbolisiert wird. Mit dieser Position hat Draghi die Geldpolitik der EZB auf unbekanntes Terrain geführt und eine Institution, die um ihr Überleben zu kämpfen gezwungen ist, einem Härtetest unterzogen.

Ehrlicherweise müssen wir sagen, dass wir nicht abschließend beurteilen können, ob Draghis Geldpolitik tatsächlich den Euro gerettet hat. Aber wer kann das schon? Sicher aber hat er dem gemeinsamen Währungsgebiet und den Regierungen der Mitgliedsländer etwas mehr Zeit und politisches Kapital verschafft, um die strukturellen Probleme zu lösen. Wie gut diese Zeit genutzt wurde – darüber lässt sich trefflich streiten. Gleichzeitig war Draghi einer der Hauptprotagonisten einer Zeit der Innovationen bei den geldpolitischen Instrumenten. Jetzt ist es an der Zeit, dass Lagarde dieses komplexe Erbe annimmt.

Es ist unbestreitbar, dass Draghi die Rolle des Präsidenten nicht als Techniker, sondern als aktiver Gesprächspartner der kontinentalen politischen Dialektik interpretiert hat. Dies zeigte sich sehr deutlich in den entscheidenden Passagen seiner siebenjährigen Amtszeit: der quantitativen Lockerung und dem Management der griechischen Krise. Darüber hinaus hat Draghi im Hinblick auf seine Vorrechte einen zum Teil sehr heftigen Dialog mit Vertretern des politischen und wirtschaftlichen Establishments der Mitgliedstaaten geführt. Wenn es in den USA darum geht, dass die Regierungen die Agenda bei der Zentralbank festlegen, dann haben wir in Europa umgekehrt gesehen, wie die Zentralbanker ihre Autorität auch zur Stimulierung der Fiskalpolitik nutzen können. Die Entscheidung von Christine Lagarde, der ersten Präsidentin der EZB mit politischem Hintergrund, scheint diese Richtung weiter zu bestätigen. Ihr erster öffentlicher Schachzug, an Trump und die deutsche Regierung gerichtet, gibt einen ersten Vorgeschmack darauf, wie Frau Lagarde die politische Autorität, die Draghi der EZB verliehen hat, nutzen und auf eine nächste Ebene bringen könnte.

Denn eindeutig hat das Draghi-Management den Handlungsspielraum der EZB erweitert, indem es dazu beigetragen hat, neben dem Preisstabilitätsziel auch den Arbeitsmarkt in der Eurozone zu unterstützen. Das dürfte dem Euro-Projekt wahrscheinlich eine zweite Chance geben.

Die zahlreichen Risiken jedoch, denen die übermäßige Geldmengenexpansion die Volkswirtschaften unterwirft, sind nicht zu übersehen. Um nur zwei zu nennen: die Verzerrung der Risikoschwellen in den Wirtschafts- und Finanzsystemen und die verzerrte Wirkung auf Ungleichheiten. Denn eine solche Geldpolitik ist stets gekennzeichnet durch sinkende Renditen, insbesondere in extrem expansiven Phasen, und ihre Wirksamkeit nimmt mit zunehmender Extremierung der Maßnahmen ab. Die Zentralbanken werden so zudem auf unbestimmte Zeit nicht in der Lage sein, neue Wege zu finden, um mit den globalen wirtschaftlichen Veränderungen fertig zu werden.

Die Lösung kann daher nicht darin bestehen, sich auf die politischen Fähigkeiten und Visionen der Zentralbanker zu verlassen. Es besteht die Gefahr, dass, wenn die Widersprüche des europäischen Wirtschaftsblocks sich weiter verstärken, „whatever it takes“, möglicherweise nicht mehr ausreicht.

(Quelle. Moneyfarm)







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