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20.11.2018 Einzelhandel: Stuttgart hat sich zum Mietermarkt entwickelt

In keiner anderen Stadt Deutschlands hat sich der Einzelhandel in den vergangenen Jahren so spürbar ausgedehnt wie in Stuttgart: Milaneo, Gerber und nun auch das Dorotheen Quartier haben die Zahl der Einzelhandelsflächen nahezu verdreifacht. Und das ausgerechnet zu einer Zeit, in der der Handel in einem radikalen Umbruch steckt. Denn die Nachfrage überragt das Flächenangebot nicht mehr so deutlich, wie es in der vergangenen Dekade noch der Standard war. Die Folge: Die Fluktuation hat stark zugenommen, die Eigentümer sitzen nicht immer automatisch am längeren Hebel, Stuttgart hat sich zum Mietermarkt entwickelt. Mittelfristig wird sogar mit Leerstand gerechnet.

„In der Schulstraße, Calwer Straße, der Eberhardstraße und auch der Tübinger Straße sehen wir einige Nutzerwechsel“, beschreibt Philipp Nothdurft, Team Leader Retail Leasing JLL Stuttgart, die aktuelle Lage in der Landeshauptstadt Baden-Württembergs. „Und selbst an den Enden der Königstraße sind die Verhältnisse nicht mehr so fest betoniert, wie sie es jahrzehntelang waren.“ Es herrscht Bewegung im Stuttgarter Einzelhandelsvermietungsmarkt, mit 14.800 m² nach dem dritten Quartal liegt der Flächenumsatz 56 Prozent über dem Vorjahreswert.

Das mittlerweile recht große Angebot an Flächen verschafft Nutzern neue Optionen: „Viele können und wollen die teils hohen Mieten nicht mehr erwirtschaften. Durch das veränderte Kaufverhalten und die Omni-Channel-Strategien setzen viele auf kleinere Geschäfte bei geringeren Mieten“, sagt Nothdurft. Das bringt Dynamik in den Markt, von der fast alle Lagen betroffen sind. Einzige Ausnahme: „Die geringsten Auswirkungen beobachten wir derzeit noch im Bereich Schlossplatz bis Ecke Stiftstraße und bis zur Sporerstraße.“

In Stuttgart kommt damit eine Entwicklung an, die sich in kleineren Städten bereits deutlich ausgeprägt hat: „Der Umbruch im Handel, durch den sich Händler neu positionieren müssen, um attraktiv zu bleiben, hat ganz Deutschland erfasst“, sagt Dirk Wichner, Head of Retail Leasing JLL Germany. Viele Jahre seien die Mieten schneller als die Umsätze gewachsen, weil das Flächenangebot zu knapp war. „Doch heute fokussieren sich immer mehr Händler auf ein qualitatives Kauferlebnis und müssen nicht mehr alle Waren auf der Fläche präsentieren. Die Folge: Statt vier Etagen reichen heute auch zwei.“ Entsprechend haben sich die Voraussetzungen für die Vertragsverhandlungen von Eigentümern und Nutzern deutlich gewandelt. „Früher standen die Nutzer Schlange und der Eigentümer konnte sich den Wunschmieter aussuchen. Heute müssen beide Seiten vorausschauender agieren“, skizziert Wichner.

Das unterstreicht die von JLL neu erhobenen Verfügbarkeitsquote[1] für neun deutsche Metropolen. Diese belegt, welche Einzelhandelsflächen dem Markt tatsächlich zur Verfügung stehen. Danach zeigt sich in Stuttgart ein ambivalentes Bild: Derzeit sind 22 von 161 Geschäften in den Toplagen verfügbar. Das entspricht 12 Prozent und ist im Bundesvergleich die dritthöchste Quote nach Köln und Berlin. Doch bei der verfügbaren Fläche beträgt die Quote nur 5 Prozent, was nach München und zusammen mit Düsseldorf der zweitniedrigste Wert ist.

Die logische Folge: In Stuttgart sind vor allem die kleinen Größen verfügbar – mehr als die Hälfte der Geschäfte haben 250 m² und weniger Fläche. Nur zwei haben mehr als 1.000 m². „Für Stuttgart ist das ein Vorteil, denn kleinere Flächen – vor allem wenn sie nur im Erdgeschoss sind – lassen sich leichter vermitteln als große über mehrere Etagen“, ist Philipp Nothdurft optimistisch.

Ähnlich gesund sind die Verhältnisse im Branchenvergleich. Zwar wird das Gros der verfügbaren Flächen bisher von Textilhändlern genutzt (7 Geschäfte bzw. 32 Prozent), doch relativiert sich der Wert, wenn man beachtet, dass generell mehr als ein Drittel (62) der Geschäfte in den Toplagen aktuell vom Textilhandel genutzt wird. Ein deutliches Missverhältnis zeigt die Auswertung nur beim Heim-Haus-Wohnbedarf, wo genau ein Drittel der insgesamt neun Geschäfte verfügbar ist.

„Die Verfügbarkeitsquote schafft die nötige Transparenz, um sich an realistischen Zukunftswerten orientieren zu können. Konkret heißt das: Eigentümer warten nicht mehr vergeblich auf einen Nutzer, der ihre Traummiete zahlt, in der heutigen Zeit aber nicht mehr kommt. Nutzer können derweil die mittelfristige Attraktivität einer Lage viel besser mit ihrem Businessplan und der möglichen Miete abgleichen“, beschreibt Dirk Wichner die veränderten Verhandlungspositionen. Das führt aber auch dazu, dass kleinere und innovative Konzepte wieder bessere Karten gegenüber großen Ketten haben. Der Wandel macht die Stadt dann auch wieder für die Kunden attraktiver.

Doch vor allem für viele Eigentümer ist dieses Umdenken ein schwieriger Prozess, da sie in den vergangenen zehn Jahren davon ausgehen konnten, dass die Mieten weiter steigen werden. Doch in Stuttgart verharrt die Spitzenmiete auf der Königstraße seit fast vier Jahren bei 270 Euro je Quadratmeter im Monat. „Zwar sind die Mieten vorerst stabil, doch sehen wir aufgrund der besseren Verhandlungsposition der Nutzer deutlich, dass die Eigentümer nun verstärkt Incentives wie Umbauzuschüsse oder mietfreie Zeiten anbieten müssen, um den Vertrag abzuschließen“, erklärt Nothdurft. Das spiegelt auch die Verhandlungsdauer wider: „Wenn ein Vertrag heute nach sechs Monaten abgeschlossen wird, sprechen wir mittlerweile von einem schnellen Prozess.“

[1] Eine Fläche gilt als verfügbar, wenn es sich um einen offensichtlichen Leerstand sowie noch nicht vermietete Projektentwicklungen oder Umbauten handelt. Ebenso ist eine Fläche verfügbar, wenn der derzeitige Mieter die Flächen ganz oder teilweise aufgeben möchte und hierfür einen Nachmieter sucht. Eine Fläche wird ferner als verfügbar eingestuft, wenn der Mietvertrag innerhalb der nächsten 1,5 Jahre ausläuft und noch kein Nachmieter feststeht oder der Eigentümer aktiv nach einem neuen Mieter sucht. Erfasst werden Ladenlokale, in denen mindestens 65 Prozent der Spitzenmiete einer Stadt und 70 Prozent der maximalen Passantenfrequenz erzielt werden.







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