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15.06.2016 Deutsche Wirtschaft wächst stabil – Brexit würde Wachstum kosten

Gestützt von einer soliden Binnenkonjunktur folgt die deutsche Wirtschaft ihrem Aufwärtstrend und dürfte in diesem Jahr um 1,7 Prozent wachsen. Das prognostiziert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Seine Vorhersage für das laufende Jahr hebt das Institut gegenüber dem Frühjahr um einen Zehntel-Prozentpunkt an. Grund dafür ist der überraschend kräftige Jahresauftakt: Die Industrieproduktion stieg unerwartet stark, zudem kommen immer mehr Menschen in Arbeit und die Löhne steigen merklich, so dass die Konsumausgaben kräftig zulegen. Allerdings dämpfen die inzwischen wieder anziehenden Energiepreise die Realeinkommen. Weil deutlich weniger Geflüchtete nach Deutschland kommen als bislang in den Prognosen unterstellt, dürften die mit der Flüchtlingsmigration zusammenhängenden positiven konjunkturellen Impulse vor allem im kommenden Jahr kleiner ausfallen. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts dürfte sich dann auf 1,4 Prozent abschwächen, vor allem aber, weil es weniger Arbeitstage als in diesem Jahr geben wird.

Brexit-Votum würde deutsches Wirtschaftswachstum 2017 dämpfen
Ein Risiko für die deutsche Wirtschaft ist ein Votum der britischen Bevölkerung gegen den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union. Schon ein Sieg der Brexit-Befürworter bei dem Referendum würde den britischen Außenhandel bremsen. Da das Vereinigte Königreich der drittgrößte Handelspartner der deutschen Wirtschaft ist, dürften auch hierzulande die Auswirkungen spürbar sein; vor allem in exportstarken Branchen wie der Automobil-, der Chemie- und Pharmaindustrie sowie dem Maschinenbau. Insgesamt exportiert Deutschland Waren und Dienstleistungen im Wert von etwa 120 Milliarden Euro nach Großbritannien, das sind rund acht Prozent aller deutschen Ausfuhren.

Der direkte Effekt einer Brexit-Entscheidung könnte das Wachstum der deutschen Exporte dämpfen – den DIW-Berechnungen zufolge im kommenden Jahr um einen Prozentpunkt oder knapp 15 Milliarden Euro. Dies würde für sich genommen das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 0,5 Prozentpunkte im kommenden Jahr und um 0,1 Prozentpunkte in diesem Jahr senken. Dabei ist zu beachten, dass es sich nur um die direkten Effekte handelt, die sich in den deutschen Exporten nach Großbritannien widerspiegeln. Indirekte Effekte wie Finanzmarktverwerfungen, sinkende Direktinvestitionen und Preiseffekte sind kaum präzise zu schätzen und daher in den Berechnungen nicht berücksichtigt.

Weltwirtschaft wächst schwächer als zuletzt erwartet

Negativ auf die deutschen Exporte auswirken könnte sich auch eine stärker als erwartete Abschwächung der chinesischen Wirtschaft. Während die Nachfrage insbesondere in Europa robust ist, entwickeln sich wichtige Absatzmärkte in Schwellenländern nur äußerst verhalten: In China müssen weiter Überkapazitäten abgebaut werden, was das Wachstum verlangsamt, und Brasilien und Russland stecken nach wie vor in der Rezession. Unter dem Strich dürfte die Weltwirtschaft in diesem Jahr mit 3,2 Prozent etwas schwächer expandieren als noch vor einem Vierteljahr vom DIW Berlin erwartet. Auch im Euroraum geht es insgesamt nur verhalten aufwärts: Die Wirtschaftsleistung der Währungsunion wird wohl um 1,6 Prozent in diesem und um 1,7 Prozent im nächsten Jahr zunehmen.

Beschäftigung in Deutschland steigt weiter

In Deutschland treibt die starke Binnenkonjunktur das Wirtschaftswachstum. Der Beschäftigungsaufbau setzt sich fort, wenn auch mit leicht abnehmendem Tempo: Die Zahl der Erwerbstätigen steigt in diesem Jahr wohl um 530.000 Personen und im kommenden Jahr um 380.000. Die Arbeitslosenquote dürfte weiter zurückgehen, auf 6,1 Prozent in diesem und 6,0 Prozent im nächsten Jahr.

Obwohl die Ausgaben für Unterbringung, Versorgung und Integration der AsylbewerberInnen beträchtlich sein werden und in diesem Jahr bei knapp zwölf Milliarden Euro und im kommenden Jahr bei knapp 13 Milliarden Euro liegen dürften, schließen die öffentlichen Haushalte in beiden Jahren mit einem Überschuss ab. Die Spielräume werden allerdings kleiner, sodass sich die Wirtschaftspolitik nach DIW-Einschätzung auf Maßnahmen konzentrieren sollte, die die Chancen auf künftiges Wachstum erhöhen. Dazu gehören zielgenaue Mittel für Investitionen genauso wie eine Entlastung des Faktors Arbeit, indem die Sozialbeiträge gesenkt werden.

KURZ GESAGT

Marcel Fratzscher (Präsident des DIW Berlin): „Das Wirtschaftswachstum in Deutschland dürfte auch in diesem und im nächsten Jahr relativ robust sein – wenn ein Brexit vermieden wird. Ein Brexit könnte das Wachstum in Deutschland alleine im kommenden Jahr durch geringere Exporte um 0,5 Prozentpunkte senken. Ziel der Wirtschaftspolitik sollte es sein, das Wachstumspotential in Deutschland durch eine zielgenauere und investitionsfreundlichere Politik zu verbessern.“

Ferdinand Fichtner (Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik): „Die Weltwirtschaft kommt weiterhin nicht in Fahrt. In China verlangsamt sich das Wachstum, und Russland und Brasilien stecken nach wie vor in der Rezession. Die schwache Entwicklung in den Schwellenländern belastet wiederum die Exporteure in Deutschland und in anderen Ländern des Euroraums. Zudem sorgt die Brexit-Diskussion für eine hohe Unsicherheit. Entscheidet sich die Bevölkerung des Vereinigten Königreichs für einen Austritt aus der EU, könnte das die deutsche Wirtschaft schon in diesem Jahr Wachstum kosten.“

Simon Junker (stellvertretender Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik und Experte für die deutsche Wirtschaft): „In Deutschland setzt sich der Aufwärtstrend der Wirtschaft fort, gestützt von der Binnenkonjunktur. Auch die Exporte tragen wieder spürbarer zum Wachstum bei. Allerdings werden die Beschäftigung und auch der private Konsum etwas an Fahrt verlieren.“

Kristina van Deuverden (wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Konjunkturpolitik und Finanzexpertin): „Der öffentliche Gesamthaushalt wird auch in diesem und im nächsten Jahr jeweils mit einem Überschuss abschließen. Die Finanzierungsspielräume werden aber enger. Sie sollten jetzt nicht verschenkt werden. Angesichts der demografischen Entwicklung empfiehlt es sich, die Arbeitsanreize zu verbessern. Das wäre über eine Senkung der Sozialbeiträge möglich.“





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