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13.03.2023 Energetische Sanierung: Mindeststandards und verbindliche Ziele

Vor dem Hintergrund der Energie- und der Klimakrise sind Energieeinsparungen dringender denn je nötig. Im Gebäudesektor können diese Einsparungen vor allem über energetische Sanierungen erreicht werden. Bisher geht es dabei nur sehr langsam voran. In Deutschland wird pro Jahr weniger als ein Prozent des Wohngebäudebestands saniert. Die bisherigen Förderprogramme alleine bieten zu wenig Verlässlichkeit für die dafür notwendigen Investitionen in zusätzliche Produktionskapazitäten für Baumaterialien und Baukapazitäten, um die energetische Modernisierung von Gebäuden zu beschleunigen. Deshalb berät am heutigen Montag das EU-Parlament über neue Mindestenergiestandards, die Gebäude schrittweise erreichen müssen. Zusätzlich ist eine verbindliche Zielvorgabe für die jährliche Rate der energetischen Gebäudesanierung notwendig. So könnten vor allem einkommensschwache Haushalte nachhaltig vor Energiekostenschocks geschützt werden. Zudem könnten – wie von der Expert*innenkommission Gas und Wärme empfohlen – Gaseinsparungen erreicht werden, im Jahr 2025 bereits bis zu 14 Prozent.

Das Heizen und Kühlen von Gebäuden ist für 48 Prozent des europäischen Endenergieverbrauchs, 36 Prozent der Treibhausgasemissionen und für 35 Prozent des Gasverbrauchs in der EU verantwortlich. Die energetische Sanierung von Gebäuden kann diesen Energiebedarf und damit sowohl Importe von fossilen Energieträgern reduzieren als auch die Voraussetzung dafür schaffen, dass der verbleibende Energiebedarf mit erneuerbaren Energieträgern gedeckt werden kann.

Ad-hoc-Maßnahmen unzureichend, um energetische Sanierungen zu beschleunigen
Eine Umfrage unter den deutschen Herstellern von Wärmedämmungen, Fenstern und Wärmepumpen zeigt, dass die Kapazitätsauslastung mit 88 Prozent im Jahr 2019 und 94 Prozent im ersten Halbjahr 2022 konstant hoch ist. Eine Steigerung von energetischen Sanierungen ist daher nur möglich, wenn auch Investitionen in zusätzliche Produktionskapazitäten für Baumaterialien und im Bausektor erfolgen.

Diese Investitionen sind aber bisher begrenzt – trotz der weiterhin hohen Auslastung von Produktionskapazitäten für Baumaterialien, die durch attraktive Förderprogramme bis zum Sommer 2022 ausgelöst wurden. Eine wichtige Erklärung für die Investitionszurückhaltung dürfte die anhaltende Unsicherheit über die staatliche Förderung dieser Programme sein, die noch dadurch verstärkt wurde, dass das Bundeswirtschaftsministerium die Förderhöhe für energetischer Sanierungen im vergangenen Sommer stark reduziert hat. In der Folge sank der Anteil derjenigen deutschen Wärmedämmstoff- und Fensterhersteller, die eine Kapazitätserweiterung anstreben, deutlich: Im März 2022 hielten 34 Prozent der befragten Unternehmen einen Ausbau für notwendig; im September 2022 waren es nur noch zwölf Prozent. Die Unternehmen warten die weitere Entwicklung ab.

Die öffentliche Aufmerksamkeit und die politische Unterstützung für Wärmepumpen im vergangenen Jahr haben hingegen viele Unternehmen dazu gebracht, zusätzliche Investitionen in deren Herstellung in Betracht zu ziehen. Einige Unternehmen kündigten sogar eine Verdreifachung ihrer Kapazitäten bis 2025 an. Einen ähnlichen Anschub könnten die Unternehmen auch gebrauchen, um Investitionen in zusätzliche Kapazitäten für energetische Gebäudesanierungen freizusetzen.

Industrie- und Bauwirtschaft benötigen klaren Rahmen über Ziele

Sanierungs- und Ausbauraten könnten, wenn es ein Ziel von Gesellschaft und Politik ist, schnell gesteigert werden. Die energetischen Sanierungsraten im Westen Deutschlands sind zwischen 1990 und 2010 auf ein Prozent des Gebäudebestandes gewachsen – stagnieren jedoch seitdem deutschlandweit auf diesem Niveau. In den damals neuen Bundesländern war es bereits 1995 möglich, jährlich vier Prozent des Gebäudebestandes energetisch und im Allgemeinen auch umfassend zu sanieren. Die Rate ist seit dem Jahr 2001 wieder unter ein Prozent gefallen.

Wie solche Raten gesteigert werden können, zeigt das Beispiel der Erneuerbaren Energien. Der Zubau von Wind- und Solarenergie relativ zum gesamten Stromverbrauch lag 2008 bei einem Prozent. Im Jahr 2007 verpflichteten sich die EU-Staats- und Regierungschefs, den Anteil erneuerbarer Energien bis 2020 auf 20 Prozent des Energieverbrauchs zu steigern. Im Jahr 2008 wurde dazu eine europäische Verordnung mit nationalen Zielen und Ausbaupfaden verabschiedet. Auf dieser Grundlage wurden die notwendigen Planungs- und Genehmigungsverfahren, Netzzugangsregeln sowie Förder- und Vergütungsmechanismen für die erste Welle von Wind- und Solarinvestitionen umgesetzt, die Ausbaurate stieg auf bis zu zwei Prozent an und das Ziel für 2020 wurde erreicht.

Ähnliches könnte auch mit energetischen Sanierungen im Gebäudesektor erreicht werden, wo die Emissionen bis 2030 europaweit um 60 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 sinken sollen. Bis 2050 soll die EU klimaneutral sein; Deutschland will Klimaneutralität sogar schon im Jahr 2045 erreichen. Diese Emissionssenkungen können nicht allein durch den Austausch fossiler Heizungen durch Wärmepumpen erreicht werden, da die EU kurzfristig nicht über ausreichende Kapazitäten an erneuerbaren Energien verfügt. Längerfristig hat die EU nur begrenzte Flächen, die zur Deckung des Energiebedarfs der Gesamtwirtschaft mit Wind- und Solarenergie zur Verfügung stehen. Daher ist es unabdingbar, die Emissionsminderungen auch durch Energieeinsparungen zu erreichen. Dafür ist eine höhere Sanierungsrate notwendig. Die Sanierung aller bestehenden Gebäude innerhalb der nächsten 25 Jahre würde eine schrittweise Erhöhung der Sanierungsrate auf vier Prozent pro Jahr erfordern. In Mitgliedstaaten mit einem hohen Anteil an gut wärmegedämmten Bestandsgebäuden kann die Quote niedriger sein. Die Quote müsste wiederum höher sein, wenn Gas- und Energieeinsparungen Priorität haben oder Klimaneutralität vor 2050 erreicht werden soll.

Dies wirft die Frage auf, was notwendig ist, damit Bauunternehmen und Hersteller von Baumaterialien in zusätzliche Kapazitäten investieren, um die notwendigen Sanierungen zu realisieren. Die Erfahrungen mit erneuerbaren Energien zeigen: Klar definierte Ziele und eindeutige politische Leitplanken für die notwendigen Investitionen – sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene – sind ein entscheidender Erfolgsfaktor. Auf europäischer und nationaler Ebene sollte demnach ein Ziel für die energetische Sanierungsrate im politischen Diskurs vereinbart werden, über dessen Fortschritte im Rahmen der EU-2030-Governance und der nationalen Klimaschutzgesetze jährlich berichtet werden sollte. So können konkrete und damit marktrelevante Regulierung, berufliche Weiterbildung, Beratungs- und Förderprogramme auf dieses Ziel ausgerichtet werden. In einer Befragung identifizierten circa 75 Prozent der Unternehmen der relevanten Industrien klare politische Rahmenbedingungen als Voraussetzung für den erfolgreichen, klimapolitisch notwendigen Kapazitätsaufbau.

Mindestenergiestandards senken die Energiekosten für einkommensschwache Haushalte

Die Effizienz des Gebäudebestandes variiert stark. Manche ungedämmten Gebäude benötigen mehr als 300 Kilowattstunden (kWh) Energie pro Jahr und Quadratmeter Wohnfläche (Energieeffizienzklasse H), während in modernen Gebäuden weniger als 50 kWh pro Jahr und Quadratmeter Wohnfläche ausreichen (Energieeffizienzklasse A).

Diese großen Diskrepanzen sind in der aktuellen Energiekrise sehr deutlich geworden – denn die Energiepreiserhöhungen haben sich weitaus stärker auf Haushalte ausgewirkt, die in Gebäuden leben, die ein Vielfaches mehr Energie pro Quadratmeter benötigen als die effizientesten Gebäude. Der Effekt verstärkt sich dadurch, dass Haushalte mit niedrigem Einkommen unverhältnismäßig oft in den ineffizientesten Gebäuden leben.

Darum sollte der energetischen Sanierung der am schlechtesten gedämmten Gebäude Vorrang eingeräumt werden. So könnten die am stärksten betroffenen Haushalten vor hohen Energiekosten geschützt werden. Dabei sollten, wie von der Expert*innenkommission Gas und Wärme empfohlen, „die staatlichen Unterstützungen so ausgelegt werden, dass Vermieter eine annähernd warmmietenneutrale Sanierung umsetzen können“ und so die Modernisierungsumlage entsprechend angepasst werden.

Diese Priorisierung kann sicherstellen, dass nicht nur schnell hohe CO2-Einsparungen erreicht werden, sondern auch, dass in den kommenden Jahren viel Gas eingespart wird. Das spart Geld, da weniger langfristige LNG-Importverträge unterzeichnet werden müssen und weniger in die Gasförderung und die LNG-Infrastruktur investiert werden muss. Wenn beispielsweise die historische Sanierungsrate von knapp einem Prozent durch klar festgelegte Ziele schrittweise auf zwei Prozent in diesem Jahr, drei Prozent im Jahr 2024 und vier Prozent im Jahr 2025 erhöht würde und diese Modernisierungen zunächst auf die ineffizientesten Gebäude ausgerichtet wären, könnten bis Ende 2025 etwa 14,4 Prozent des Gasbedarfs im Gebäudesektor eingespart werden.

Die Europäische Kommission hat einen Mindeststandard für die Energieeffizienz von Gebäuden (MEPS) vorgeschlagen, der aktuell im EU-Parlament und im EU-Rat diskutiert wird. Der Vorschlag der EU-Kommission würde für Gebäude der beiden niedrigsten von sieben EU-Effizienzkategorien gelten. Diese sollen maßnahmenoffen in zehn Jahren einen besseren Standard erreichen. Das EU-Parlament will sogar die drei niedrigsten Kategorien einbinden. In beiden Fällen können die Mindeststandards durch umfangreiche Ausnahmeregelungen unterwandert werden, sodass nur etwa die Hälfte der anvisierten Gebäude abgedeckt ist. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission würden nur etwa 15 Prozent des Gebäudebestands bis 2033 saniert werden, nach den Vorschlägen des EU-Parlaments wären es nur etwa 25 Prozent. Dies würde eine jährliche Sanierungsrate von 1,5 Prozent beziehungsweise 2,5 Prozent erfordern, was deutlich unter der notwendigen Rate von vier Prozent liegt.

Denkbar ist, dass Gebäudeeigentümer die Mindestanforderungen nur insoweit erfüllen, dass sie das Gebäude lediglich etwas verbessern, um die schlechtesten Klassen zu verlassen. Dies birgt die Gefahr, dass auf dem Weg zur Klimaneutralität zwei energetische Sanierungen erforderlich sind, was mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. Daher muss sichergestellt werden, dass die öffentliche Unterstützung für die Verbesserung der Gebäudeeffizienz nur Maßnahmen gewährt wird, die in Summe zu einer umfassenden energetischen Sanierung führen.

Fazit: Verbindliches Sanierungsziel und Mindeststandards für ineffiziente Gebäude

Um kurzfristig Gas und Kosten zu sparen und den Übergang zu einem klimaneutralen Gebäudesektor zu erleichtern, ist eine Kombination von energetischen Sanierungen und einer Umstellung auf nicht-fossile Energieträger erforderlich. Eine schrittweise Erhöhung der Sanierungsrate würde beiden Zielen gerecht werden. Diese schrittweise Erhöhung muss sowohl für die verarbeitende Industrie verlässlich sein, die Vorleistungen wie Isoliermaterial oder Glas produziert, als auch für Bauindustrie und Handwerk, die Mitarbeiter*innen für neue Aufgaben ausbilden und einsetzen. Ad-hoc-Maßnahmen ohne eine solche Glaubwürdigkeit werden die Investitionen hemmen und daher nicht zu der gewünschten Sanierungsrate führen.

Vor allem zwei politische Maßnahmen können zusammenwirken, um den notwendigen Investitionsrahmen zu schaffen. Erstens eine klare politische Festlegung auf ein Sanierungsziel. Dies müsste in der EU-2030-Governance und im nationalen Klimaschutzgesetz verankert sein. Auf Grundlage einer verbindlichen Rate können öffentliche Weiterbildungs-, Beratungs- und Förderprogramme aufgelegt werden. Die zweite Maßnahme sind Mindeststandards für die Energieeffizienz von Gebäuden: Mit der priorisierten Sanierung der ineffizientesten Wohngebäude könnten insbesondere einkommensschwache Haushalte nachhaltig vor Energiekostenschocks geschützt werden und zugleich die höchsten Gas- und CO2-Einsparungen erzielt werden. Beide Maßnahmen zusammen können eine robuste Perspektive für die notwendigen Investitionen in zusätzliche Kapazitäten im Baustoff- und Bausektor schaffen.

Abstract

Vor dem Hintergrund der Energie- und der Klimakrise sind Energieeinsparungen dringender denn je nötig. Im Gebäudesektor können diese Einsparungen vor allem über energetische Sanierungen erreicht werden. Bisher geht es dabei nur sehr langsam voran. In Deutschland wird pro Jahr weniger als ein Prozent des Wohngebäudebestands saniert. Die bisherigen Förderprogramme alleine bieten zu wenig Verlässlichkeit für die dafür notwendigen Investitionen in zusätzliche Produktionskapazitäten für Baumaterialien und Baukapazitäten, um die energetische Modernisierung von Gebäuden zu beschleunigen. Deshalb berät am heutigen Montag das EU-Parlament über neue Mindestenergiestandards, die Gebäude schrittweise erreichen müssen. Zusätzlich ist eine verbindliche Zielvorgabe für die jährliche Rate der energetischen Gebäudesanierung notwendig. So könnten vor allem einkommensschwache Haushalte nachhaltig vor Energiekostenschocks geschützt werden. Zudem könnten – wie von der Expert*innenkommission Gas und Wärme empfohlen – Gaseinsparungen erreicht werden, im Jahr 2025 bereits bis zu 14 Prozent.

(Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V.)







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