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03.05.2022 Zu früh gefreut? Auch die langfristigen Zinsen werden weiter steigen

In den vergangenen Wochen haben sich die Renditen an den Rentenmärkten und die Preise für Güter, aber auch Dienstleistungen hüben wie drüben, also im Euro- wie im US-Dollar-Raum, so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr nach oben bewegt. Wo Olaf Scholz eine Zeitenwende in der Weltpolitik ausgerufen hat, haben Analysten deshalb selbige auch für die Kreditmärkte ausgemacht. Denn zwei vermeintliche Konstanten, die man sich gar nicht mehr wegdenken mochte, scheinen der Vergangenheit anzugehören: eine kaum sichtbare Inflation und eine immer günstiger werdende Refinanzierung.

Fortgesetzter Zinsanstieg trotz befürchteter Rezession?

Mit Blick auf die eigenen künftigen Anlageentscheidungen stellt sich die Frage, wie lange und wie weit der Renditeanstieg allerdings noch gehen soll, wenn Teile des Marktes bereits eine Rezession vorhersehen?

Als Ausdruck dieser Rezessionserwartung kann man die sich verflachende Zinsstrukturkurve in den USA auffassen. Eine nahezu identische Rendite bei den 2- und 10-jährigen US-Staatsanleihen bringt zum Ausdruck, dass die Marktteilnehmer damit rechnen, dass die angekündigten, aber erst ansatzweise umgesetzten Leitzinserhöhungen der FED nicht von Dauer sein werden. Eine Absenkung aber wird die FED nur erwägen, wenn die Inflationsraten sich wieder zurückgebildet haben und das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht aus den Fugen zu geraten droht.

Blaupause gesucht

Für wie wahrscheinlich halte ich das? Nun, um Orientierung zu finden, sucht der Mensch in bewegten Zeiten nach Mustern – idealerweise nach solchen, die er bereits kennt. An den Rentenmärkten führt diese Suche hinsichtlich der exorbitant gestiegenen Inflationsraten zurück in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Innerhalb weniger Jahre stiegen die Verbraucherpreise stark an: in Deutschland zwischenzeitlich auf Jahresraten bis zu 8 Prozent, in Frankreich und den USA auf Werte bis ca. 15 bzw. 12 Prozent. Anfang der 80er Jahre gingen die Inflationsraten dann in einen Sinkflug über, der erst vor einigen Monaten sein Ende fand.

Hinsichtlich des Aktivitätsumfangs der Notenbanken liegt ein Blick in das Jahr 1994 allerdings näher, als die FED innerhalb einiger Monate ihren Leitzins von 3 auf 6 Prozent anhob. Die seinerzeitige schrittweise Anhebung um 3 Prozentpunkte entspricht etwa den heutigen Erwartungen an Jerome Powell und sein Kollegium, natürlich ausgehend von einem deutlich niedrigen Niveau. Obwohl die FED die Inflation – gemessen an den aktuellen Raten – im Griff hatte, hielt sie die Zinssätze in der zweiten Hälfte der 90er mit Blick auf die niedrigen Arbeitslosenquoten und das gute Wirtschaftswachstum auf einem Niveau zwischen knapp 5 und 6,5 Prozent.

Die Zinsanstiege sind noch nicht zu Ende

Die derzeitigen Kapitalmarktteilnehmer wären überrascht, wenn die FED heutzutage ähnliche Konsequenz walten ließe. Denn der eine oder andere scheint vergessen zu haben, dass die Notenbanken sich nicht der Aufgabe verschrieben haben, Spekulation zu unterstützen.

Insofern gehe ich davon aus, dass die flache Zinskurve sich in USA verfrüht gebildet hat. Der Zinsanstieg am langen Ende wird sich fortsetzen. Instrumente wie Floater könnten deshalb in den kommenden Monaten eine Renaissance erleben. Der in der Folge weiter steigende US-Dollar wird den importierten Teil der Inflation für andere Währungsräume hochhalten. Nicht von ungefähr haben beispielsweise in Europa zuletzt die Ungarn und die Polen ihre Leitzinsen auf 5,4 bzw. 4,5 Prozent angehoben. Auch deshalb trifft das Zaudern der EZB in der breiten Öffentlichkeit und am Kapitalmarkt kaum noch auf Verständnis – eine im Vergleich steilere Zinsstrukturkurve belegt das.

Europas Wettbewerbsfähigkeit wird leiden

Aber ob Christine Lagarde und ihr Kollegium zu ähnlichen Maßnahmen greifen werden wie die FED oder ihre europäischen Nachbarn, darf mit jedem Monat, der ins Land geht, stärker bezweifelt werden. Denn der einzige Druck, den die EZB zu spüren scheint, kommt aus den jeweiligen Hauptstädten der Ratsmitglieder. Und die nationalen Regierungen scheren sich scheinbar weniger um Inflation als eine günstige Refinanzierung.

Allerdings müssen sich die nationalen Regierungen fragen lassen, ob ihnen die Konsequenzen einer dem Verfall preisgegebenen Währung bewusst sind. Wohl verbessern sich – wie bei einem jeden Ausverkauf – die Absatzmengen auf den Märkten außerhalb der Euro-Zone. Das aber macht bequem. Der verfallende Außenwert erhöht die Importpreise für Fertigwaren und Vorprodukte, insbesondere Rohstoffe. Zudem werden die Lohnforderungen zunehmen. Kurzum: Europas Wettbewerbsfähigkeit steht auf dem Spiel – und günstige Refinanzierungssätze können darüber langfristig nicht hinwegtrösten.

(Von Christian Bender, Portfoliomanager bei der SIGNAL IDUNA Asset Management)





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