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05.12.2025 Belastete Immobilien: Deutschland kann vom Niederlande lernen

Dutzende Standorte in Deutschland verfallen zu Ruinen oder erhalten nicht die gesellschaftlich wichtige Funktion, die sie erfüllen könnten, weil ihre belastete Vergangenheit Immobilienentwickler, Nutzer und Behörden abschreckt. Das niederländische Beispiel zeigt, dass eine Neuentwicklung möglich ist – mit einer guten Balance zwischen kommerzieller Rentabilität, Achtung vor der Geschichte und gesellschaftlichem Nutzen.

Ehemalige NS-Ordensburgen, Außenlager von Konzentrationslagern, veraltete Gefängnisse, in denen Gräueltaten verübt wurden: Die dunkle Seite der Geschichte ist in deutschen Immobilien noch deutlich präsent. Viele dieser Objekte warten auf eine neue Nutzung, die den gesellschaftlichen Bedürfnissen von heute gerecht wird: bezahlbarer Wohnraum, Flächen für Gewerbe und Handel, Freizeit und Erholung. Die Unsicherheit im Umgang mit diesem historisch belasteten Immobilienbestand verhindert jedoch einen pragmatischen Ansatz. Behörden und Finanzierer zögern, ihre Unterstützung für eine Neuentwicklung zu geben. Immobilienprofis scheuen das Risiko und meiden diese Objekte. Der eigentliche Verlierer ist die Gesellschaft. Das ist unverantwortlich – sowohl im Hinblick auf die Pflicht, Kulturerbe zu bewahren, als auch auf die Notwendigkeit, mit Immobilien effizient umzugehen.

Die Niederlande kennen ähnliche Dilemmata im Umgang mit Immobilien aus ihrer Vergangenheit als Kolonialmacht. Viele Gebäude aus dem Goldenen Zeitalter, die Touristen in Amsterdam, Haarlem und Gouda in Bewunderung versetzen, sind mit Blutgeld erbaut worden. Ehemalige Industriekomplexe sind durch ihre Geschichte von Ausbeutung und Kinderarbeit belastet. Im Gegensatz zu Deutschland wurden die meisten dieser Standorte in den Niederlanden erfolgreich neu entwickelt und fügen sich heute sinnvoll ins moderne Stadtbild ein. Dort wird gewohnt, gearbeitet, gelebt – und auch erinnert und zur Reflexion angeregt.

Als niederländischer Immobilienentwickler, der auch in Deutschland aktiv ist, werden wir regelmäßig gebeten, Projekte zu übernehmen, die von deutschen Akteuren als zu heikel oder zu wenig aussichtsreich eingeschätzt werden. Beispiele sind die Ordensburg Vogelsang in der Eifel und das Lagerhaus G in Hamburg, wo Gefangene aus Neuengamme gelitten haben und gestorben sind. Da wir als ausländisches Unternehmen in größerer Distanz zu dieser belasteten Geschichte stehen, können wir objektiver den Dialog mit den Stakeholdern führen. Aber auch deutsche Akteure können dies tun – mit dem Ergebnis, dass mehr Immobilien erhalten bleiben und sinnvoll genutzt werden.

Aus niederländischer Erfahrung lassen sich dafür einige Empfehlungen ableiten:

Erstens: die Bedeutung, alle Stakeholder einzubeziehen. Jeder Standort hat eine Geschichte, die über die schmerzhafte Periode hinausgeht. Viele Objekte existierten schon vorher und sind auch heute Teil des menschlichen Umfelds. Die gesamte Geschichte eines Ortes sollte in die Projektentwicklung einfließen. Anwohner und Nutzer sind ebenso wichtig wie Vertreter der Erinnerungskultur.

Zweitens: die Einbindung der öffentlichen Hand sollte alle Ebenen umfassen – Stadt, Kreis und Land –, auch wenn dies rechtlich nicht zwingend notwendig wäre. Kultur und Geschichte enden nicht an Verwaltungsgrenzen. Bedauerlich ist, dass der Denkmalschutz in Deutschland föderal stark zersplittert ist. Eine Zentralisierung von Fachwissen auf Bundesebene, wie in den Niederlanden, hat viele Vorteile. Gleiches gilt für Finanzierungsstrukturen: Lokale Geldgeber – ob kommerziell oder Fördermittelgeber – müssen die Sicherheit spüren, dass sie breit unterstützt werden. Noch besser wäre die Einführung bundesweit geltender Regelungen.

Drittens: Vertrauen in die Kompetenz und Integrität von Entwicklern, die sich historisch vorbelasteter Projekte annehmen, baut sich nur langsam auf. Hier braucht es einen langen Atem, viel Dialogbereitschaft und überzeugende Praxisbeispiele.

Viertens: Es muss nicht immer die große, international bekannte Firma sein, die solche Projekte erfolgreich angeht. Holtburgh etwa gilt in Deutschland als mittelgroßer Entwickler. In den Niederlanden hingegen gehören wir zur Top-Tier und sind hervorragend vernetzt. Gerade diese starke Vernetzung macht es möglich, auch große und komplexe Projekte zu stemmen. Kooperationen, Joint Ventures und Partnerschaften sind in der niederländischen Immobilienbranche längst selbstverständlich – niemand setzt alles auf eine Karte. Diese Haltung hilft, Risiken zu minimieren und innovative Lösungen zu finden. Die Niederlande machen es vor, wie durch Zusammenarbeit und geteilte Verantwortung auch schwierige Projekte gelingen können.

Vielleicht die wichtigste Lehre aus dem niederländischen Beispiel ist der Mut. Akteure müssen sich trauen, sich mit sensiblen Immobilien auseinanderzusetzen. Meine Erfahrung zeigt: Solche Projekte erhalten zwar viel Aufmerksamkeit von Presse, Öffentlichkeit und Politik, doch fast immer ist diese konstruktiv. Gerade dadurch, dass diese Objekte nicht verdrängt oder totgeschwiegen, sondern die historischen Belastungen und aktuellen Notwendigkeiten aktiv aufgegriffen werden, entsteht ein konstruktiver Dialog. Und das ist der beste Weg zu einer Immobilienentwicklung, die kommerziell tragfähig, gesellschaftlich relevant und zukunftssicher ist. Beginnen Sie heute mit diesem Gespräch.

Drs. Marc Janssen ist Geschäftsführer von Holtburgh, einem niederländischen Immobilienunternehmen, das auch in Deutschland aktiv ist.






















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