News RSS-Feed

02.11.2022 Betreutes Wohnen: Es fehlen in Deutschland 500.000 Wohneinheiten

Der Anteil der älteren Bevölkerungsgruppen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen und mit ihm der Bedarf an Wohnformen, die ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Dabei ist der Bedarf an Seniorenimmobilien insbesondere in suburbanen Lagen immens. 2022 liegt das Defizit bei mindestens 496.000 Wohneinheiten, 2040 wird es mindestens bis auf rund 560.000 ansteigen. Auch die Entwicklung von Seniorenimmobilien ist aufgrund gestiegener Baukosten, Zinsen und des Wegfalls der KfW-Förderung zu einer Herausforderung geworden. Dennoch setzen sowohl institutionelle Investoren als auch Finanzierer auf Seniorenimmobilien. Die Assetklasse zeigt sich als resilient und vermag wie kaum eine andere soziale wie ökologische Nachhaltigkeitsaspekte miteinander zu verbinden.

Dies sind die Kernergebnisse der Online-Pressekonferenz „Wie entwickelt sich der Markt für Senior Living?“, an der heute Michael Eisenmann, Geschäftsführer der Real Blue KVG, Dr. Marcel-Alexander Gärtner, Head of Research bei ENA Experts, Oliver Zirn, Geschäftsführer von VADcare und Enrico Meier, Direktor Geschäftsbereich Markt bei der Bank für Sozialwirtschaft, teilnahmen.

Institutionelle Investoren fordern Investments, die ökologische und soziale Aspekte verbinden

Den hohen Bedarf an Seniorenimmobilien hat die Real Blue frühzeitig wahrgenommen und für institutionelle Investoren einen offenen Spezial-AIF aufgelegt. Der Real Blue Senior Living hat bereits einen dreistelligen Millionenbetrag bei Versicherungen, Sparkassen und Pensionskassen an Zeichnungsgeldern eingesammelt und in zwei Neubauprojekte in Albstadt und Sulz in Baden-Württemberg investiert. Weitere Ankäufe sind derzeit in Prüfung.

Michael Eisenmann, Geschäftsführer der Real Blue KVG, erläutert: „Unsere Investoren möchten ihr Kapital nachhaltig anlegen und dabei nicht nur ökologische, sondern insbesondere soziale Aspekte in den Fokus stellen. Der Fonds investiert daher in offene Wohn- und Betreuungskonzepte, die das selbstbestimmte Leben im Alter ermöglichen und somit auf das Wohlbefinden der älteren Bevölkerung einzahlt.“ Eisenmann ergänzt: „Uns ist eine hohe Objektqualität sehr wichtig. Daher prüfen wir den auch den positiven Beitrag zum Klimaschutz bereits bei der Planung und der Baukonstruktion. Aus diesem Grund arbeiten wir mit Projektentwicklern häufig in einer frühen Planungsphase zusammen. Zudem achten wir auf Standorte mit zentraler Lage, einem guten ÖPNV-Anschluss sowie ausreichender Nahversorgung. Denn auch Senioren wollen weiterhin in das Leben eingebunden sein.“

Der Real Blue Senior Living ist ein Artikel-8-Fonds und fokussiert sich konsequent auf betreibergeführte Seniorenimmobilien in den Segmenten Service Wohnen, betreutes Wohnen und ambulant betreute Wohngemeinschaften. Dabei nehmen integrierte Einrichtungen mit unterschiedlichen Wohn- und Betreuungsformen einen wichtigen Stellenwert ein.

Versorgungslücke: Rund 500.000 Wohneinheiten fehlen, Tendenz steigend

Das Research von ENA Experts stellt klar: Der Bedarf an betreuten Wohnformen insbesondere in suburbanen Lagen ist immens und das Defizit von mindestens 496.000 Wohneinheiten für 2022 und voraussichtlich rund 560.000 in 2040 kaum zu füllen. Der notwendige Versorgungsgrad (Betreute Wohnungen/Einwohnerzahl 65plus) der älteren Bevölkerung liegt auf Bundesebene laut dem ZIA bei rund 4,5 Prozent. In Deutschland wird dieser aktuell mit durchschnittlichen 1,8 Prozent bedient. Von den 30 größten Städten in Deutschland werden die mindestens 4,5 Prozent von Kiel, Nürnberg, Hannover erfüllt. Nur Hamburg (4,6 Prozent) Stuttgart (6,1 Prozent), Leipzig (7,6 Prozent) und Frankfurt am Main (7,7 Prozent) übertreffen diesen Wert. Weit abgeschlagen sind hingegen das Ruhrgebiet mit u. a. Mönchengladbach (0,5 Prozent), Gelsenkirchen (0,7 Prozent) und Duisburg (0,9 Prozent), die nicht über ein Prozent kommen.

Dr. Marcel-Alexander Gärtner, Head of Research bei ENA Experts, führt aus: „Ältere Menschen verlassen nur ungern ihren Wohnort und orientieren sich bei der Suche nach geeigneten Wohnungen mit Betreuungsangeboten in ihrem Umfeld. Aktuell wird hier der Bedarf sehr unterschätzt und die Versorgungslücke wird vor allem in suburbanen Gebieten sehr groß sein.“ Gärtner ergänzt: „Dabei ist nicht jeder Standort attraktiv. Wichtig ist eine enge Einbindung in das tägliche Leben: Ärzte, Nahversorgung und Freizeitaktivitäten sollten idealerweise fußläufig erreichbar und die Anbindung mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gut ausgebaut sein.“

Hohe Anforderungen an Nachhaltigkeit, Projektkalkulation herausfordernd

Wie nachhaltig eine Seniorenimmobilie ist, ergibt sich aus verschiedenen Kriterien. Dabei sind insbesondere die Lage, das Konzept, die Refinanzierbarkeit der Miete bzw. der Gesamtkosten für den Bewohner sowie der Immobilienstandard entscheidend.
Oliver Zirn, Geschäftsführer von VADcare, erläutert: „Je nach Größe des Einzugsgebiets, demografischer Entwicklung, Kaufkraft und lokalen Besonderheiten entwickeln wir individuelle Seniorenimmobilien. Eine fundierte Analyse dieser Kriterien ist wichtig, um die bedarfsgerechten Wohnungsgrößen und Mieten sowie das Betreuungs- und Servicekonzept festzulegen.“ Zirn ergänzt: „Darüber hinaus nehmen inzwischen Nachhaltigkeitskriterien einen hohen Stellenwert ein. Wir setzen auf erneuerbare Energien wie beispielsweise Wärmepumpen und Photovoltaikanlagen, schauen aber auch, dass wir den grundsätzlichen Energiebedarf senken.“

Insgesamt ist die Projektkalkulation aufgrund gestiegener Baukosten, Zinsen und dem Wegfall der KfW-Förderung zu einer Herausforderung geworden. Eine Beispielrechnung mit überschlägigen Beträgen verdeutlicht dies. Bei einer Standard-Seniorenimmobilie mit 100 Wohneinheiten mit dem KfW-55-Energieeffzienzhausstandard lagen die Gesamtinvestitionskosten 2021 noch bei 3.500 Euro je m² Wohnfläche. Inzwischen sind die Gesamtinvestitionskosten aufgrund erhöhter Bau- und Finanzierungskosten um 800 Euro pro m² gestiegen. Hinzu kommt, dass im Verkauf aufgrund deutlich gestiegener Zinsen bei einer gleichbleibenden Miete von 13 Euro pro m² der Multiplikator von 27 auf 25 gesunken ist. Entsprechend hat sich der erzielbare Verkaufspreis von 4.200 Euro pro m² (2021) auf 3.900 Euro pro m² (aktuell) reduziert. Somit wird aus einem kalkulatorischen Projektgewinn vor Steuern von 900 Euro pro m² in 2021 ein Verlust von 400 Euro pro m² im aktuellen Marktumfeld, auch bedingt durch den Wegfall des KfW-Investitionszuschusses von 200 Euro pro m².

Um aber dennoch eine annehmbare Marge zu erwirtschaften, sind Anpassungen bei den Bau- und Finanzierungskosten und der Miete notwendig. Durch Optimierungen in der Planung und im Bau müssen die Baukosten reduziert werden. Dasselbe gilt für die Finanzierungsstrukturen und daraus folgend die Finanzierungskosten. Würde man dadurch die Gesamtinvestitionskosten auf 3.900 Euro pro m² reduzieren können, die Miete gleichzeitig auf 14,5 Euro pro m² erhöhen, würde sich daraus ein Verkaufspreis von 4.350 Euro pro m² und folglich ein Projektgewinn vor Steuern von 450 Euro pro m² ergeben. Damit würde die Projektmarge im Vergleich zu 2021 zwar von 25,7 Prozent auf 11,5 Prozent absinken, wäre damit jedoch immerhin wieder in einem dem Risiko angemessenen Bereich.

Zirn führt aus: „Die aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen machen es uns als Projektentwickler nicht leicht, Immobilien zu entwickeln und dabei nicht mit einem Minus rauszugehen. Uns sind marktgerechte Verkaufspreise und bezahlbare Mieten wichtig. Daher müssen langfristig die Grundstücks-, Bau- und Finanzierungskosten sinken, damit wir auch weiterhin dem Versorgungsengpass entgegenwirken können – und auch als Unternehmen mit einer geringeren, aber auskömmlichen Marge arbeiten können.“

Sozialimmobilien priorisierte Finanzierungs- und Investitionsobjekte

Die Finanzierungsbedingungen haben sich durch die steigenden Zinsen deutlich verschärft. Dennoch bleiben Sozialimmobilien für die Bank für Sozialwirtschaft im Fokus – insbesondere aufgrund ihrer sozialen Wirkung. Denn auch der Druck auf den Kredit- und Kapitalmarkt für nachhaltige Investments hat erheblich zugenommen.

Enrico Meier, Direktor Geschäftsbereich Markt bei der Bank für Sozialwirtschaft, führt aus: „Impact-Ziele haben für uns mittlerweile den gleichen Stellenwert wie finanzielle Vorgaben erhalten. Hier gibt es sehr deutliche Veränderungen, was die Auswahl an Finanzierungsobjekten betrifft. Die Vergabe von Krediten erfolgt vielfach nach ESG-Kriterien, um u. a. auch dem EU-Aktionsplan ‚Finanzierung nachhaltigen Wachstums‘ gerecht zu werden. Dies sehen wir bei Sozialimmobilien im besonderen Maße als gegeben an, zumal wir den hohen Investitionsbedarf in einem erschwerten Marktumfeld bedienen können.“

Als Finanzierungsformen kommen verschiedene Lösungen in Betracht: Die Kombination von Hausbankdarlehen und öffentlichen Fördermitteln, Sale-and-Lease-back sowie die Einbindung von Immobilienfonds. Vor allem letztere sind sehr gefragt, da sie Asset-Management-Maßnahmen wie die Restrukturierung und Weiterentwicklung ihrer Immobilienbestände planen und umsetzen und dabei auch Nachhaltigkeitsziele berücksichtigen.




Leserumfrage
Wir schätzen Ihre Expertenmeinung!
Hier ist unsere Leserumfrage:
schnell & unkompliziert
Jetzt starten!