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20.10.2022 Streit um das Wertpapierdepot: Erbe muss Verkaufserlös auszahlen

Hat ein Erblasser ein Wertpapierdepot mehreren Personen dergestalt vermacht, dass der Erbe die Aktien verkaufen und dann den Geldbetrag unter mehreren Personen verteilen soll, muss der Erbe auch Gelder auszahlen, die aus Anleiherückzahlungen vor dem Tod des Erblassers resultieren. Dass diese Surrogate auch mitzählen, hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Az.: 10 U 200/20) entschieden, worauf Dr. Markus Schuhmann von der Münchener Erbrechtskanzlei Schuhmann Rechtsanwaltskanzlei mbH hinweist.

In dem zugrunde liegenden Fall hatte eine 90-jährige Erblasserin Ihre Immobilie an eine einzelne Person vererbt. Außerdem hatte Sie in dem Testament ein von dem Erben zu erfüllendes Vermächtnis angeordnet. Dieses sah vor, dass ihr Wertpapierdepot im Wert von „derzeit“ 780.000 Euro zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung verkauft und an sechs Personen geteilt werden sollte. Bei einem der Vermächtnisnehmer handelte es sich um einen Vertrauten der Erblasserin, der als Generalbevollmächtigter deren Vermögen verwaltete. Nach dem Ende der Laufzeit legte der Generalbevollmächtigte zurückgezahlte Anleihen nicht wieder an, sondern ließ die Gelder auf ein Festgeld-Sparkonto der Erblasserin überweisen. Als die Erblasserin schließlich starb, wies das Wertpapierkonto einen Wert von rund 100.000 Euro auf. Die Spareinlagen aus dem Anleiheverkauf beliefen sich auf 600.000 Euro. Der Erbe zahlte jedem Vermächtnisnehmer rund 16.000 Euro aus dem Wertpapierkonto aus und sah damit seine Verpflichtung aus dem Testament als erfüllt an.

Die Vermächtnisnehmer klagten daraufhin auf Auszahlung von je weiteren 100.000 Euro aus dem Sparkonto der Erblasserin. Doch das erstinstanzlich befasste Landgericht Limburg wies die Klage ab. Begründung: Wortlaut und Systematik des Testaments seien eindeutig. Das Testament nehme gerade nicht Bezug auf das gesamte Bankvermögen, sondern nur auf die Wertpapiere. Die Wertangabe von „derzeit“ 780.000 Euro betone zudem, dass der Depotwert naturgemäß Schwankungen unterliege.

Dagegen legten die Vermächtnisnehmer Berufung zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main ein. Das Wort „derzeit“ im Testament bedeute so viel wie „circa.“. Eine Vorstellung der Erblasserin, dass das Depot im Todeszeitpunkt nur noch 1/7 des ursprünglichen Werts umfassen würde, sei fernliegend. Der Umstand, dass die Erblasserin zu dem Vermächtnis eine ausdrückliche Wertangabe gemacht habe, führe zur Auslegungsbedürftigkeit der Passage allein aus Sicht der Erblasserin. Die Erblasserin habe die Vorstellung gehabt, über zwei Vermögensmassen zu verfügen – das Haus und das Wertpapierdepot. Im Wege der ergänzenden Auslegung sei die Verfügung aus Sicht des Berufungsgerichts richtigerweise dahin zu lesen, dass auch die Surrogate der ehemals in dem Depot geführten Wertpapiere vom Vermächtnis hätten umfasst sein sollen. Ansonsten mache die Wertangabe von 780.000 Euro keinen Sinn.

„Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main schlug sich auf die Seite der Vermächtnisnehmer: Nach dem Willen der Erblasserin sollte zwischen dem Vermächtnis der Wertpapiere und dem Vermächtnis der Verkaufserlöse kein Unterschied bestehen“, fasst Fachanwalt für Erbrecht Dr. Markus Schuhmann die Entscheidung zusammen. Zwar habe die Erblasserin nicht unmittelbar die Wertpapiere vermacht, sondern deren Verkauf angeordnet und den Erlös vermacht. „Das erfolgte aber nur, um die Abwicklung des Vermächtnisses an sechs Personen zu erleichtern“, erläutert Schuhmann. Im Übrigen bestehe kein Zweifel, dass es sich bei dem Festgeldkonto um das Surrogat des Wertpapierdepots handele. Darauf käme es aus Sicht des Gerichts aber noch nicht einmal an. „Letztendlich war für das Gericht entscheidend, dass es sich bei den Vermächtnissen um Geldforderungen gehandelt hatte und sich ein dem Wert des Veräußerungserlöses der Wertpapiere entsprechender Geldbetrag zum Zeitpunkt des Erbfalls noch in der Erbmasse befand.“

Auch der Umstand, dass die Erblasserin gerade keinen konkreten Geldbetrag in Höhe von 780.000 Euro an sechs Personen vermacht hat, spreche ebenfalls nicht gegen die Auslegung des Gerichts. Dr. Schuhmann: „Denn damit hätte die Erblasserin den Erben verpflichtet, etwaige Wertminderungen des Depots aus seinem eigenen Vermögen auszugleichen. Dies war von der Erblasserin offensichtlich nicht gewünscht“. Dem Erben ist es im Prozess letztlich nicht gelungen, nachzuweisen, dass die Erblasserin nur den Inhalt des Wertpapierdepots zum Zeitpunkt des Todes vermachen wollte. Dr. Schuhmann erklärt weiter: „Die Entscheidung ist ein weiterer Beweis dafür, dass bei der Errichtung von Testamenten genauestens auf die jeweiligen Formulierungen geachtet werden muss, um den Willen der Testierenden auch nach deren Ableben richtig einordnen zu können.“







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