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22.03.2022 Sozialisierung von Wohnungsunternehmen ist verfassungswidrig

Der erfolgreiche Berliner Volksentscheid über die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen hat den Sozialisierungsartikel 15 im deutschen Grundgesetz (GG) ins Zentrum der Debatte gerückt. Im neuen gif Policy Paper kommen die Autoren zum Schluss: Die geplante Sozialisierung in Berlin ist in zweifacher Hinsicht verfassungswidrig.

Die Berliner Bürger hatten sich in einem Volksentscheid im September 2021 mehrheitlich für eine Vergesellschaftung privatwirtschaftlicher Wohnungsunternehmen mit über 3.000 Wohnungen ausgesprochen. Bis Ende März soll vom Senat ein Expertengremium eingesetzt werden und beraten, wie die Vergesellschaftung umgesetzt werden kann. In der gesellschaftspolitischen Enteignungsdebatte ist insbesondere der Sozialisierungsartikel 15 GG, der in den 70 Jahren seines Bestehens noch nie angewendet wurde, zwischen die Fronten geraten.

Breites Meinungsspektrum

Das Meinungsspektrum zur Auslegung der Bestimmung, das im Zuge der Debatte vertreten wird, könnte breiter kaum sein. Teilweise wird die Norm sehr weitreichend interpretiert und angenommen, dass letztlich jede Vergesellschaftung größerer Unternehmensbestände rechtlich zulässig sei, sofern nur eine Entschädigung erfolgt.

Am anderen Ende des Meinungsspektrums wird eine äußerst enge Interpretation der Norm favorisiert. Sie verlangt eine strenge Verhältnismäßigkeitskontrolle wie bei anderen Enteignungen und ebnet so etwaige Besonderheiten des Sozialisierungsartikels ein. Die Bestimmung wird also letztlich überflüssig.

Keine marktdominanten Unternehmen in Berlin

In ihrer Studie arbeiten die Autoren Prof. Dr. Jürgen Kühling und Moritz Litterst neben weiteren rechtpolitischen Aspekten die Genese des Artikels 15 und die damit verknüpften Ziele heraus. Ihr Fazit: Eine Sozialisierung ist dann möglich, wenn eine auch für die Gesellschaft relevante, problematische Macht von marktdominanten Unternehmen gebrochen werden soll. Das entspricht dem historischen Sinn der Vorschrift und ist auch unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten nachvollziehbar, so die Autoren: In diesem Fall sei eine Sozialisierung eine geeignete Maßnahme, die auch den regelmäßigen Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitstest bestehen würde. Unabhängig davon sei eine angemessene Entschädigung erforderlich, die sich am Verkehrswert orientieren müsse.

Die Konsequenzen dieser Auffassung sind für das Berliner Vorhaben gleichwohl ernüchternd, so Prof. Dr. Jürgen Kühling: „Selbst die Anforderungen einer moderaten Interpretation des Sozialisierungsartikels kann das Berliner Vorhaben nicht erfüllen. Das Bundeskartellamt hat festgestellt, dass es keine problematische Macht dominanter Unternehmen auf dem Berliner Wohnungsmarkt gibt. Der Sozialisierungsartikel kann daher nicht aktiviert werden. Die geplanten erheblichen Abschläge vom Verkehrswert bei der Entschädigung wären verfassungsrechtlich ebenso wenig gerechtfertigt.“

Das vollständige gif Policy Paper finden Sie hier zum Download.






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