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01.03.2022 Warum der Ukraine-Konflikt die Weltwirtschaftserholung nur verzögert

Obwohl die direkten außenwirtschaftlichen Beziehungen mit Russland und der Ukraine zusammen weniger als drei Prozent des gesamten deutschen Außenhandels ausmachen, steht Deutschlands und Europas Wirtschaft vor dem nächsten dramatischen exogenen Schock nach der Coronakrise. Mit der militärischen Eskalation des Ukraine-Konflikts und den massiven Sanktionen vieler Staaten, könnte die gerade wieder an Fahrt aufgenommene Erholung der Weltwirtschaft einen erneuten Rückschlag erleiden. Schon jetzt erhöhen steigende Energiepreise die Produktionskosten.

Wichtige Vorleistungen aus der Ukraine können nicht geliefert werden, wovon unter anderem die Automobilindustrie stark betroffen ist. Lieferungen von zum Beispiel Erdgas, Rohöl, Kohle, Palladium und und Seltenen Erden könnten gestoppt werden. Deutsche Exporte nach Russland und in die Ukraine, bspw. Maschinen und Anlagen liegen auf Eis. Ausweichrouten für Warentransporte per Luft oder Land, die angesichts stockender Schiffslogistik als Alternativen genutzt wurden, wurden gekappt oder verlangsamt. Russische Schuldner werden ausfallen, Tochtergesellschaften russischer Banken in Europa in die Insolvenz gehen, mit ungewissen Auswirkungen für europäische Banken und die Konsumentenstimmung dürfte leiden.

Das volle Ausmaß des wirtschaftlichen Rückschlags lässt sich derzeit noch nicht annähernd bemessen, weil die Lage noch zu dynamisch ist. Dabei bezweifelt wohl kaum jemand, dass diese – rein ökonomischen – Kosten in Kauf genommen werden müssen, um der Aggression der russischen Regierung zu begegnen. Nach wie vor besteht allerdings die Grundannahme, dass die Weltwirtschaft in den kommenden Monaten wieder an Dynamik gewinnt und der Ukraine-Konflikt diese Entwicklung nur verzögert und leicht dämpft, denn abgesehen von steigenden Energiepreisen ist die globale Wirtschaft kaum direkt betroffen. Wichtige Wachstumstreiber wie staatliche Investitionsprogramme – in Europa künftig wohl auch verstärkt für militärische Zwecke – ein massiver Auftragsstau in der Industrie sowie jahrelang zurückgehaltener privater Konsum bleiben intakt.

Entscheidend für den weiteren Verlauf des Konfliktes und vor allem für die mittel- bis langfristig resultierenden Auswirkungen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene wird die Haltung der chinesischen Regierung sein, die eigene Interessen in den Vordergrund stellt. Offensichtlich möchte China sich derzeit weder eindeutig auf die Seite Russlands schlagen, noch sich in die Reihe der weltweiten Opposition gegen den russischen Feldzug eingliedern. So oder so wird China aber die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland künftig intensivieren und die Chance nutzen, nach einer weitgehenden internationalen Isolation Russlands den Zugang zu russischen und möglicherweise ukrainischen Rohstoffen und Vorleistungen zu sichern.

Auch wird die Reaktion des Westens in Peking sicher genau beobachtet, um Rückschlüsse auf das weitere Vorgehen bzgl. Taiwan abzuleiten. Putin und Xi Jinping einigt die Abneigung gegenüber dem Westen und der NATO, es dürfte sich aber um ein reines Zweckbündnis und keinen engen freundschaftlichen Kurs handeln. Trotzdem wirft diese Entwicklung ein noch kritischeres Licht auf die engen wirtschaftlichen Verflechtungen Deutschlands mit China.

(von: Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL)






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