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17.02.2022 Machbarer Klimaschutz bei Altbauten kostet 3,6 Billionen Euro bis 2045

Für Menschen, die eine Wohnung suchen, wäre es – um es im Kanzler-Jargon zu sagen – ein „Wumms“. Für eine ganze Branche ist es vorher aber eine handfeste Herausforderung: 400.000 Wohnungen sollen in diesem und in den kommenden drei Jahren neu geschaffen werden – jede Vierte davon eine Sozialwohnung. Diese Zielmarke hat die Ampel-Regierung gesetzt. Dazu stehen ehrgeizige Klimaschutzziele im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP, die enorme Auswirkungen auf das Bauen und Wohnen haben werden.

Sieben führende Organisationen und Verbände der Bau- und Immobilienbranche haben dazu am Donnerstag auf dem 13. Wohnungsbau-Tag 2022 in Berlin ein Konzept vorgestellt, wie diese „Herkulesaufgabe für ein neues Wohnen“ gemeistert werden kann. Als Verbändebündnis Wohnungsbau legten sie eine aktuelle Studie des Bauforschungsinstituts „ARGE für zeitgemäßes Wohnen“ (Kiel) vor. Darin setzen die Wissenschaftler beim „Mammutprogramm Wohnen“ der Ampelkoalition auf einen Mix aus mehr Neubau und deutlich mehr Umbau im Gebäudebestand. Das sei – zusammen mit mehr Klimaschutz beim Wohnen – allerdings nur zu erreichen, wenn der Staat eine Reihe von zusätzlichen Steuer-Anreizen setze und KfW-Programme anpasse bzw. neue Förderungen schaffe.

„Aus der vorhandenen Gebäudesubstanz kann erstaunlich viel herausgeholt werden: Das Potential, das allein der Umbau bestehender Gebäude bietet, liegt bei über 4,3 Millionen neuen Wohnungen. Genug also, um in Kombination mit dem Bau komplett neuer Wohnhäuser das Ziel der Bundesregierung zu erreichen. Der Vorteil der Umbau-Offensive: Es gibt eine enorm hohe Anzahl neuer Wohnungen – ohne dafür auch nur einen einzigen Quadratmeter Bauland zusätzlich zu benötigen“, sagt ARGE-Institutsleiter Dietmar Walberg.

Eine gewaltige Chance sieht Walberg dabei im Umbau von Büros, die auch nach der Corona-Phase durch das Etablieren vom Homeoffice nicht mehr gebraucht werden. Rund 1,9 Millionen neue Wohnungen könnten so entstehen. Und das relativ kostengünstig: Der Umbau von Büros kostet pro Quadratmeter Wohnfläche knapp 1.300 Euro. Zum Vergleich: Im Neubau sind es mehr als 3.400 Euro. Auch die Dachaufstockung bei Wohnhäusern, die in der Nachkriegszeit bis zum Ende der 90er-Jahre gebaut wurden, bietet nach Angaben der Studie enormes Potential: Rund 1,5 Millionen neue Wohnungen sind hier durch On-Top-Etagen möglich. Und das zu Kosten von weniger als 2.500 Euro pro Quadratmeter.

Dazu kommen noch einmal rund 560.000 Wohnungen, die durch das Aufstocken von Verwaltungsgebäuden und Bürokomplexen entstehen könnten. Zusätzlich bieten On-Top-Etagen auf Supermärkten, Discountern, Einkaufspassagen und Parkhäusern die Chance auf rund 420.000 neue Wohnungen – meistens in attraktiven Citylagen.

Vor allem liefert die Wohnungsbau-Studie auch einen Fahrplan dafür, wie das Wohnen klimaneutral werden kann: Die Wissenschaftler setzen auf mehr Energiespar-Sanierungen bei den knapp 19,3 Millionen Wohngebäuden in Deutschland. Hier fordern sie, einen „Turbo-Gang“ einzulegen: Rein rechnerisch sollte künftig jeder 55. Altbau pro Jahr energetisch komplett modernisiert werden. Bislang ist es nur jedes hundertste Wohnhaus. Damit würde die jährliche Sanierungsrate von derzeit einem auf dann 1,8 Prozent steigen.

Bei der Klimaschutz-Modernisierung fordern die Wissenschaftler der ARGE allerdings, Kosten und Nutzen gründlich abzuwägen, um das Wohnen nicht unverhältnismäßig teuer zu machen. Deshalb favorisieren sie bei energetischen Sanierungen von Gebäuden das Effizienzhaus 115 als Standard. Ein voll sanierter Altbau würde dann beim Energieverbrauch sogar bis auf 15 Prozent an einen Neubau mit seinen heute – im Gebäudeenergiegesetz (GEG) – vorgeschriebenen Standards heranreichen. Beim künftigen Neubau empfiehlt die Studie das Effizienzhaus 70. Schließlich sei es beim Neubau genauso wie beim Modernisieren notwendig, die Ressourcen im Blick zu haben – vor allem auch Fachkräfte und staatliches Fördergeld. Beides sei knapp. Und hier bieten die Effizienzstufen 115 (Altbau) und 70 (Neubau), so die ARGE, einen „machbaren Mittelweg“.

Die jährlichen Kosten für die von der ARGE empfohlenen Energiespar-Sanierungen beziffert die Studie auf bis zu 150 Milliarden Euro pro Jahr – 3,6 Billionen Euro bis 2045. Dann nämlich soll Deutschland klimaneutral wohnen. Ohne zusätzliche grüne Energie fürs Heizen und für Strom wird das allerdings nicht gehen, so die ARGE. Und um die Energiespar-Offensive bei Altbauwohnungen überhaupt erst einmal anzustoßen, muss der Staat Anreize für die Modernisierung setzen: Mindestens 30 Milliarden Euro sind hierfür pro Jahr an Förderung notwendig, so die Empfehlung der Studie.

Würde die Politik die Energiespar-Messlatte noch höher legen, dann wären auch die Kosten und notwendige Förderungen dafür enorm viel höher: Um ein bestehendes Ein- oder Zweifamilienhaus auf das Niveau vom KfW-Effizienzhaus 115 zu bringen, nennt die Studie Kosten zwischen 660 und 1.070 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Dagegen koste das Effizienzhaus 40 mindestens 50 Prozent mehr – in der Spitze sogar knapp 1.600 Euro pro Quadratmeter. Walberg spricht hier vom „falsch investierten Euro“. Grundsätzlich gelte: Im Neubau seien höhere Standards leichter zu erreichen als bei Altbauten.

Auch beim altersgerechten Umbau gebe es erheblichen Nachholbedarf: Nur jeder zwölfte Senioren-Haushalt lebe in einer Wohnung mit keinen oder nur wenigen Barrieren. Um mehr Wohnhäuser altengerecht zu modernisieren, müsse der Staat eine Förderung von 3 Milliarden Euro jährlich bieten – gegen eine wachsende „Graue Wohnungsnot“. Denn die werde spätestens dann zu einem drängenden Problem, wenn die Baby-Boomer-Generation in Rente gehe.

Die „Wohngebäude-Inventur“ der ARGE hat noch ein weiteres Ergebnis gebracht: Wenn mehr Klimaschutz und Seniorenwohnen kommen müssen, dann wird es auch mehr Häuser geben, bei denen es sich technisch oder wirtschaftlich nicht mehr lohnt, sie zu modernisieren. Nahezu jeder zehnte Altbau – überwiegend Häuser der Nachkriegszeit – müsste abgerissen und an gleicher Stelle durch einen Neubau ersetzt werden, so die Wissenschaftler. Allein beim Ersatzbau seien pro Jahr Investitionen von bis zu 40 Milliarden Euro notwendig.






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