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06.01.2022 ESG-Kriterien: Megatrend in der Immobilienbranche

Nach Analysen von Aengevelt Research sind ökologische, soziale und Governance-Faktoren zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Immobilienwirtschaft geworden.
Der große Bedeutungszuwachs von ESG (Environment Social Governance) ist unter anderem auf die weltweiten, europäischen und nationalen Umweltziele und Gesetze zurückzuführen. Daraus resultiert unter anderem eine deutlich anziehende Nachfrage von Investoren und Kunden nach nachhaltigen Immobilien und Projektentwicklungen.

Die ESG-Auswirkungen auf die Immobilienbranche sind erheblich und vielfältig. Sie reichen von rechtlichen und regulatorischen Themen bis hin zur strategischen Planung und Unternehmenssteuerung. Damit der Überblick angesichts der Vielfältigkeit des eigentlichen Themas – der gesetzlichen Regelung von ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten – nicht verloren geht, braucht es aus Sicht von Aengevelt vor allem vier Dinge: Geduld, die Zusammenarbeit aller Immobilienakteure, Mut, sich den verändernden Rahmenbedingungen zu stellen, sowie objektiv anwendbare Regeln jenseits subjektiver Einschätzungen.

Immobilien spielen eine wichtige Rolle für die Erreichung der europäischen und deutschen Umweltziele, da sie in ihrem gesamten Lebenszyklus sehr energieintensiv sind. Angefangen von der Herstellung von Beton und Stahl bis hin zum Betrieb der Gebäude und ihrer Entsorgung am Ende ihres Lebenszyklus. So sind Immobilien in Deutschland laut Umweltbundesamt für rd. 40 % der deutschen CO2-Emissionen verantwortlich. Zwar konnte in 2020 im Gebäudesektor eine Emissionsminderung um 2,8 % auf rd. 120 Mio. t CO2 verzeichnet werden. Indessen wurde das im deutschen Klimaschutzgesetz definierte Ziel einer Verringerung auf rd. 118 Mio. Tonnen nicht erreicht.

ESG-Maßnahmen können zunächst dabei helfen, den Energieverbrauch der Immobilie zu senken. Darüber hinaus können sie insgesamt zu einer Verbesserung der Umweltbedingungen beitragen, indem ihre Konzeption auf ihre Umgebung, z.B. in Hochwassergebieten, abgestimmt ist.

Dafür ist eine ganzheitliche Betrachtung der Immobilie über den gesamten Lebenszyklus notwendig. In diesen Prozess sind unterschiedlichste Immobilienakteure wie Eigentümer, Betreiber, Bauherren, Architekten, Planer, Inverstoren, politische Akteure, Banken und Kreditinstitute, Kunden, Makler etc. involviert. Eine Expertenrunde diskutierte während der EXPO REAL, worauf es ankommt.

So kommentierte z.B. Nina Schrader, Director Real Estate Consulting bei Deloitte, die Vielschichtigkeit des Themas ESG: „Es ist eine große Aufgabe und es wird der Branche nur gelingen, einen echten Schritt voran zu machen – und das haben die meisten verstanden –, wenn die Branche und die verschiedenen Akteure hier zusammenarbeiten.“

Wachsender politischer Druck auf die Immobilienbranche

Der politische Druck für eine nachhaltige und sozialverträgliche Immobilienbranche wächst: In den letzten drei Jahren wurden immer mehr Vorgaben und Richtlinien, wie z.B. die Taxonomie-Verordnung und die Offenlegungsrichtlinie, verabschiedet, um das ambitionierte Ziel eines klimaneutralen Europas umzusetzen. Die EU-Taxonomie spiegelt dabei ein gesetzlich geregeltes Klassifizierungssystem für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten – und somit auch für jegliche Art von Investitionen – wider.

Zunächst wurden durch die Offenlegungsrichtlinie große börsennotierte Unternehmen, Banken und Versicherungsunternehmen dazu verpflichtet, Informationen zu veröffentlichen, wie und inwiefern deren Tätigkeiten im Zuge der EU-Taxonomie als ökologisch nachhaltig gelten. Diese Offenlegungsrichtlinie wurde in diesem Jahr durch neue Richtlinien und Verordnungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung deutlich ausgeweitet, so dass auch viele Unternehmen aus der Immobilienwirtschaft betroffen sind.

Dazu Nina Schrader: „Jetzt beschäftigen sich alle Player mit den Themen ESG und Nachhaltigkeit. Und die großen Immobilienfonds und Asset Manager als diejenigen, die wirklich betroffen sind, haben dadurch so etwas wie einen Dominoeffekt ausgelöst.“

Ähnlich sieht dies Prof. Maximilian Schwalm aus dem Bereich “Entwicklung & Innovationen“ der DORNIEDEN Gruppe, der die Themen Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung „schlicht und ergreifend als gesellschaftspolitischen Konsens“ ansieht, „dem sich die Immobilienbranche nicht entziehen kann“.

Die steigende Relevanz, aber auch Akzeptanz der ESG-Kriterien wird von einer aktuellen Umfrage der Empira Gruppe bestätigt: 70 % der Umfrageteilnehmer messen den ESG-Kriterien und dem nachhaltigen Investieren eine hohe Bedeutung zu.

Innovative Ideen und Grenzen der Umsetzung

Projektentwickler sind für die Erreichung der Klimaziele unerlässlich. Sie setzen die zahlreichen Maßgaben und Nachhaltigkeitsvorgaben in die Realität um und leisten somit einen zentralen Beitrag zum Erreichen der Umweltziele. Im Neubau steht Projektentwicklern dabei die gesamte innovativ-technische Bandbreite zur Verfügung, um hier auch wirkliche Schritte nach vorne gehen zu können.

„Und das tun wir auch, um hier einen echten Beitrag zur Entlastung leisten zu können“, beschreibt Prof. Schwalm die Möglichkeiten der Projektentwickler und führt weiter aus: „Wir können sehr innovative Themen mit einbringen: Wir können nachhaltige Energielösungen anbieten, wir können nachhaltige Wasserwirtschaft in einem Quartier anbieten, wir können sozial fundierte Angebote schaffen. Aber all das muss nachher auch [finanziell] getragen werden.“

Es gibt also bereits Konzepte und die entsprechenden technischen Möglichkeiten, um nachhaltigere Projekte zu realisieren. Allerdings liegt laut Prof. Schwalm die Schwierigkeit im Spagat zwischen der Schaffung nachhaltiger Projekte und ihrer Wirtschaftlichkeit: „Was unsere Kunden von uns einfordern, sind nachhaltige Lösungen. Das hat gleichzeitig auch eine Attraktivitätssteigerung unserer Produkten zur Folge, die wir natürlich bedienen wollen. Das hat aber auch immer eine Grenze, [denn] alles hat einen Preis.“

Nina Schrader präzisiert: „Nicht das Entwickeln von schlauen Ideen, sondern das Umsetzen der Idee [ist die Schwierigkeit]. Woher bekommen wir all diese Ressourcen, um das zu schaffen, was wir schaffen müssen.“

Dabei wird deutlich, dass es nicht nur um monetäre Ressourcen geht, sondern um alle Ressourcen, die für die Umsetzung eines Immobilienprojektes benötigt werden. Dazu Dr. Wulff Aengevelt: „Der menschliche Faktor ist der limitierende Faktor. Das Handwerk muss es umsetzen, aber das Handwerk kann nur umsetzen, was es von der Industrie geliefert bekommt.“ Nina Schrader ergänzt „Und dafür brauchen wir Menschen, die das können, also brauchen wir Arbeitskräfte und wir brauchen Ressourcen.“

Die Meinung der Immobilienexperten wird durch eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer untermauert: 67 % der Bauunternehmen sahen 2020 den Fachkräftemangel als größtes Risiko ihrer wirtschaftlichen Entwicklung an.

Bestätigt wird dies durch aktuelle Zahlen der Baupreisentwicklung: Laut Statistischem Bundesamt sind die Baupreise im dritten Quartal 2021 für Wohn- und Bürogebäude um 12,6 % und für gewerbliche Betriebsgebäude sogar um 13,3 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. Das ist der höchste Anstieg der Baupreise gegenüber einem Vorjahr seit November 1970.

Ganzheitliche Konzepte mit interdisziplinärer Herangehensweise

Zunächst stehen Umweltfaktoren im Vordergrund, da die Auswirkungen eines Immobilienprojektes durch messbare Methoden klar und eindeutig zu ermitteln sind. Ferner sind für Investoren, Eigentümer und Mieter Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz oder zur Senkung des Wasserverbrauchs direkt zu fassen und spürbar.

Weniger offensichtlich sind die sozialen und Governance-Faktoren: ESG ist mehr als nur ein Green Building, denn Immobilien sind Teil einer Kommune und eines Quartiers und werden von Menschen genutzt. Sie haben damit einen sozialen Wert. Die Fokussierung auf den Bereich Umwelt greift entsprechend zu kurz. Allerdings erhöht sich dadurch auch die Komplexität. Das gilt gerade auch für Neubauprojekte, die die Chance bieten, sich in idealer Weise in bestehende Quartiere einzufügen und einen Mehrwert für die ansässigen Menschen zu generieren.

„Deshalb müssen gezielt weitere Fragen gestellt werden. Fragen der Haltung, Orientierung und Wirkung. Was kann ich tun? Was erzeugt einen bestimmten Effekt? Und wo muss ich mich persönlich positionieren als Auftraggeber?“, führt Thomas Jansen, geschäftsführender Gesellschafter RKW Architektur +, aus. Es sei „nicht nur die ästhetisch-gestalterische Formulierung von Bauvorhaben, sondern auch das technische Engineering, das Green Engineering und die Beratung“, die das Aufgabenspektrum der Immobilienakteure erweiterten. Ferner braucht es laut Jansen einen „Wirkungsgrad, wofür diese Objekte jetzt stehen“. „Und das ist die Aufgabe der Architekten: Das zu formulieren und dazu eben auch Wege aufzuzeigen“, so Thomas Jansen.

Schlüssel zum Erfolg: Analyse, Digitalisierung und Datenverfügbarkeit

Dieses erweiterte Aufgabenspektrum sowie die Vorgabe, den wirklichen Wirkungsgrad einer Immobilie bzw. eines Immobilienprojekts lückenlos offenzulegen, führen zu einem drastischen Anstieg von Daten, die gespeichert und gesammelt werden müssen. Der damit verbundene Mehraufwand sollte und darf von den Unternehmen nicht unterschätzt werden: Die umfassende Dokumentation der ökologischen und sozialen Auswirkungen eines Gebäudes muss bei Kauf, Verkauf oder Vermietung schon vor dem Abschluss belegt und vorgelegt werden.

Nina Schrader fasst zusammen: „Es kommt ein neuer Datenschwall auf uns zu. Auch da stellt sich die Frage: wie erfasse ich, wer erfasst, wo lege ich die [Daten] ab, wie werte ich sie aus und wie kann ich aus diesen vielen Daten auch […] wirklich Mehrwerte generieren. Denn das ist das Entscheidende: Die Daten sollen ja nicht nur zum „Reporten“ da sein. Sie sollen uns dabei helfen, besser zu werden.“

Die Immobilienbranche braucht dafür Vorreiter, die mit Mut und Elan vorangehen und die Diskussion über eine nachhaltige Immobilienwirtschaft vorantreiben. Dies gilt nicht nur für Neubauprojekte, sondern insbesondere für Bestandsimmobilien und -Portfolien. „Der Start kann nur eine völlig objektive, schnörkellose Analyse hinsichtlich zukünftig notwendiger Aufwendungen für die Herstellung des ESG-gerechten Status einer Immobilie sein, um einen ganzheitlichen und interdisziplinären Prozess anzustoßen“, erläutert Dr. Aengevelt und resümiert „Wer heute nicht beizeiten Rücklagen und Rückstellungen bildet, bilanziell zu Lasten der liquiden Ausschüttungen, und das nicht Corporate Governance-korrekt seinen Anlegern klar und deutlich vermittelt, […] der hat die Perspektiven seiner Anleger und damit seiner Immobilien verschlafen und hinterlässt diese riesigen Probleme seiner Nachkommenschaft.“

Fazit

Die Nachfrage nach nachhaltigen Immobilien steigt beständig, so dass sich alle Immobilienakteure (zwangsläufig) mit dem Thema auseinandersetzen (müssen). Dafür braucht es eindeutige und objektive Richtlinien für die gesamte Branche, damit der nötige Schritt in Richtung einer nachhaltigen Immobilienwirtschaft gemeinsam bewältig werden kann.

Zudem kann eine sozial und ökologisch nachhaltige Immobilienwirtschaft nur durch einen gemeinsamen Kurs aller Immobilienaktteure erreicht werden. Dabei müssen die komplexen Herausforderungen der unterschiedlichen Beteiligten miteinander aufeinander abgestimmt und zusammengebracht werden. Dazu braucht es eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, um die schon vorhandenen Konzepte und technischen Möglichkeiten umzusetzen.

Dabei kommt großen Projektentwicklern und Investoren die Rolle der Initiatoren zu, die die Möglichkeit haben, die Diskussion voranzubringen, aber auch die Umsetzung ganzheitlicher Konzepte zu verwirklichen.






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