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20.10.2021 Berlin: Wie kommen Einzelhandel und 1A-Lagen aus der Corona-Krise?

Olaf Petersen, Geschäftsführer und Chefresearcher des Einzelhandelsspezialisten COMFORT analysiert mit seinen Kollegen in den COMFORT-Büros vor Ort die aktuelle Situation im Herbst 2021. Wie stellt sich aktuell die Situation für den Einzelhandel und die Handelsimmobilien der 1A-Lagen in den beliebtesten deutschen Einkaufsmetropolen dar? Den Auftakt der Serie bildet Berlin als Deutschlands größte Stadt. Diese wird in den nächsten Wochen und Monaten in lockerer Reihenfolge fortgesetzt.

Ab März 2020 befanden sich Gesellschaft und Wirtschaft mehr als ein Jahr im Würgegriff der weltweiten Corona-Pandemie. Dabei zählten Einzelhandel und Gastronomie zu den Hauptleidtragenden. Erst im Verlauf des Sommers 2021 gewannen die positiven Triebkräfte endlich wieder die Oberhand. Insbesondere der Impffortschritt führte zu deutlichen Lockerungen und mehr Normalität im öffentlichen Leben sowie einer wachsenden Zuversicht innerhalb der Bevölkerung. In der Folge ist auch die Gesamtwirtschaft wieder angesprungen: Arbeitsplatzabbau sowie Kurzarbeiterzahlen gehen zurück und zum Einkaufen steht den Verbrauchern neben ihren Einkommen auch eine während der Pandemie gewachsene Ersparnis zur Verfügung.

Sichtbares Ergebnis sind unter anderem die gestiegenen innerstädtischen Passantenfrequenzen, auch wenn diese vielfach das Vor-Corona-Niveau noch nicht ganz wieder erreicht haben. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Corona-AHA-Regeln (Maske, Abstand, Kundenzahl im Geschäft etc.) noch immer Einfluss auf das Einkaufsgeschehen ausüben. Vor diesem Hintergrund sind die heutigen Passantenfrequenzen als absolut ermutigend zu bewerten. Zudem ist zu festzustellen, dass sich die lange Zeit der (erzwungenen) Enthaltsamkeit im stationären Einzelhandel nunmehr auch in höheren Durchschnittsbons der Innenstadtbesucher niederschlägt.

Diese bundesweiten Trends finden auch in der aktuellen Entwicklung Berlins als Deutschlands einziger globaler Metropole ihren Niederschlag. So rangiert die Arbeitslosenquote mit 9,4 % (September 2021) mittlerweile wieder 1,1 Prozentpunkte unter dem Vorjahreswert. Das wieder deutlich verbesserte Niveau der Frequenzen in den innerstädtischen Toplagen wurde durch die Ende August von COMFORT durchgeführte umfangreiche Passantenfrequenz-Zählung eindrücklich dokumentiert (siehe hierzu auch die ausführliche COMFORT-Pressemeldung vom 7. Oktober 2021).

Allerdings erreicht die Anzahl der auswärtigen Besucher aktuell noch keineswegs das Normalniveau. In 2021 fehlt es im Vergleich zur Vor-Corona Zeit nach wie vor noch an Veranstaltungen, Kongressen sowie insbesondere an internationalen Städtetouristen. So erreichte in den ersten acht Monaten des Jahres die Zahl der ausländischen Gäste lediglich ein Niveau von 13 % bezogen auf den Vergleichszeitraum in 2019 - dem letzten Jahr vor der Krise. Und auch im Monatsvergleich für den August erreichte die Zahl der ausländischen Gäste in 2021 lediglich eine Größenordnung von rd. 36 % - bezogen auf den August 2019.

Berlin

Die Bundeshauptstadt ist das politisch-administrative Zentrum Deutschlands und mit rund 3,7 Mio. Einwohnern mit deutlichem Abstand die größte Stadt der Bundesrepublik. Sie stellt nicht nur deshalb, sondern auch wegen einer außerordentlich vielfältigen kulturellen Szene und ausgeprägter Trendsetter-Qualitäten die einzige echte deutsche Weltstadt dar: Ein globaler „Place to be“. Allein zwischen 2015 und 2020 ist die Stadt um 200.000 Einwohner, d.h. in der Größenordnung einer mittleren deutschen Großstadt, gewachsen.

Als Fundament der Shoppingmetropole Berlin dient ein riesiges natürliches Einzugsgebiet von rd. 5,5 Mio. Einwohnern. Vor der Corona-Krise verfügte die Stadt als die deutsche Tourismushochburg durch die externen Besucher zudem über einen zusätzlichen Multiplikator (in der Spitze 2019 über 34 Mio. Hotel-Übernachtungen). Auch wenn die jüngsten Zahlen nach den Tiefstwerten 2020 und im ersten Halbjahr 2021 nun wieder ansteigen, ist davon auszugehen, dass die Stadt beim Thema Tourismus im Kontext der weltweiten Corona-Pandemie wohl noch eine Weile deutlich ‚kleinere Brötchen‘ als zu den Hochzeiten Ende des letzten Jahrzehnts wird backen müssen.

Anders als andere deutsche Metropolen weist die Berliner Einzelhandelslandschaft eine polyzentrale Struktur auf, die über sechs 1A-Lagen verfügt. Hinzu kommen aufgrund der Größe der Stadt diverse Stadtteillagen und eine Vielzahl von zum Teil in diese Lagen integrierten, zum Teil aber auch isoliert funktionierenden Shopping-Centern. Mit 42 (!) derartiger Einkaufszentren stellt Berlin damit auch diesbezüglich ganz eindeutig die deutsche Hauptstadt dar. Vor diesem Hintergrund ergibt sich ein erheblicher Wettbewerbsdruck zwischen den einzelnen Standorten. Insbesondere auf einige periphere und in die Jahre gekommene Einkaufszentren, aber auch auf die eine oder andere Straßenlage, kam auch schon vor dem Lockdown und der Corona-Krise ein erheblicher Neupositionierungsbedarf zu. Hier spielen Einflüsse des Onlinehandels und die damit einhergehenden Veränderungen im stationären Handel eine ebenso große Rolle wie ein verändertes Konsumentenverhalten. Das Einkaufen, welches über die Deckung des täglichen Bedarfs hinausgeht, benötigt heute höhere Aufenthaltsqualität, Service und integrierte Dienstleistungen, sodass der Einkauf an sich zum Erlebnis wird und sich vom Internet und dem gewöhnlichen Einheitsbrei abhebt.

Der Markt für Einzelhandelsimmobilien

Nachdem Handelsimmobilien in 2020 trotz des Lockdown-Schocks noch immer ein
Transaktionsvolumen von stattlichen knapp 11 Mrd. € erzielt haben, fiel dieses in 2021 zunächst deutlich schwächer aus. Hier versetzte der zweite Lockdown zum Jahreswechsel der Nachfrage einen deutlichen Dämpfer und es fehlte - anders als zuvor - an größeren Portfolio-Transaktionen. Zudem hatte sich das Investoreninteresse angesichts ihrer ‚Systemrelevanz‘ weiter in Richtung Lebensmittel / lebensmittelbeankerte Objekte / Projekte verschoben. Für Highstreet-Immobilien verpassten die Lockdowns der Investoren-Nachfrage dagegen einen spürbaren Dämpfer. Die auf diese Weise erfahrene Anfälligkeit dieser Assets in der Pandemie, fortlaufende Diskussionen über Mietreduktionen bzw. Anpassungen mietvertraglicher Regelungen oder befürchtete Insolvenzen weiterer Mietkonzepte ließen die Investoren zurückhaltend agieren und geforderte Renditen neu bewerten.

Solche Neubewertungen beziehen sich dabei im Wesentlichen auf die nachhaltigen Mieten. Die Mieten müssen einfach auch längerfristig passen. Insofern werden ältere Mietverträge von den Investoren sehr kritisch hinterfragt. Ebenso wie die bisherige einzelhandelsdominierte Nutzungsstruktur. Hier gilt es, die Machbarkeit von Neuaufteilungen der Objekte und Neubelegungen mit anderen Nutzungsarten (von Gastronomie, Büro, Wohnen, Hotel, Entertainment bis hin zu City-Logistik) zu überprüfen. Vor diesem Hintergrund bieten diverse große in der aktuellen Flächenkonstellation nicht mehr marktgängige Objekte für Developer beziehungsweise Core+ und Value Add-Investoren ein erhebliches Potenzial für eine umfangreiche Neupositionierung als innerstädtische Mischnutzungen und Quartiere. Mittlerweile wächst das Interesse der Investoren an Geschäftshäusern wieder. Dies ist nicht zuletzt auf die gewachsene Normalität im innerstädtischen Retail-Geschäft zurückzuführen.

Diese Gesamt-Gemengelage ist auch für Berlin gültig. Für die absoluten Toplagen bewegen sich die Kaufpreise wieder auf einem sehr hohen Niveau, wobei für herausragende Objekte in 1A-Lagen mit einem nachhaltigen Mietniveau, Kaufpreisfaktoren von klar mehr als dem 30-fachen der Jahresmiete zu verzeichnen sind. Ungebrochen ist die Nachfrage vor allem nach Projekten am Kurfürstendamm oder an der Tauentzienstraße. Hervorzuheben ist diesbezüglich die Transaktion der Gloria Galerie an die Generali, welche gleichzeitig den größten Einzeldeal für Highstreet Immobilien seit geraumer Zeit darstellt.

Aber auch Hackescher Markt oder Schloßstraße sowie zentrale Lagen wie Leipziger Platz und gute Stadtteil-/Kiezlagen, erfreuen sich aus Investorensicht einer großen Nachfrage bei derzeit eher begrenztem Produktangebot. Zu nennen ist hier die Neuvermietung an Globetrotter und der Verkauf der Schloßstraße 20 an eine Versicherung der Ampega.

1A-Lagen: Aktuelle Entwicklungen und Mieten

Durch die Corona-Krise hatte sich bis in das Frühjahr 2021 hinein der Rückgang der Mieternachfrage verstärkt, der bereits vor der Krise den Markt erfasst hatte. So hat sich der ehemalige Vermietermarkt nunmehr zu einem Mietermarkt gewandelt. Mit signifikantem Druck auf die Mieten - insbesondere bei Großflächen ab ca. 1.000 m² sowie vertikaler Geschossstruktur. Aber auch mit einem Trend zur Flexibilisierung von Mietverträgen – mit kürzeren Festlaufzeiten, Umsatzmieten, Sonderkündigungsrechten, Baukostenzuschüssen etc. oder der Bezahlung von Makler-Innen-Provisionen.
Die letzten Monate haben aber auch gezeigt, dass die Entwicklung keineswegs ins Bodenlose geht, sondern differenziert ist und zunehmend auch positive Perspektiven für die Gegenwart und Zukunft aufweist. Denn selbst zu den Corona-Hochzeiten fanden tatsächlich eine Reihe von sehr namhaften Vermietungen statt. Mittlerweile hat der Markt wieder deutlich mehr Fahrt auf- genommen und immer mehr Mieter erkennen neue Zukunftschancen für gute Geschäfte in unseren attraktiven Innenstädten.

Nachstehend werden für die sechs Berliner Toplagen aktuelle Informationen zur Charakteristik, den Frequenzen sowie Mieten zusammengetragen.

Kurfürstendamm / Tauentzienstraße

? Wichtigster und bekanntester Einkaufsboulevard
? Bester Abschnitt zwischen KaDeWe (Kaufhaus des Westens) und Olivaer Platz
? Vielfältiges Angebot von der Kaufhausrennbahn an der Tauentzienstraße bis zu den Luxusanbietern nahe Olivaer Platz
? Höchste Passantenfrequenz zwischen Tauentzienstraße / Wittenbergplatz und Kurfürstendamm / Ecke Uhlandstraße (lt. COMFORT-Zählung rd. 8.500 Passanten pro Stunde in der Spitze)
? Business Improvement District (BID) City West unterstützt insbesondere Verbesserung der Aufenthaltsqualität (mehr Grün, Straßenkunst u. a.).
? Großformatige Projektentwicklungen mit dem FÜRST wie auch längerfristig am Karstadt Wertheim
? Neue Mieter: M&Ms, Henri Willig, Balenciaga, Occhio, Dyson, Mc Donald’s, Liebeskind, Fabletics, Exclusive Coffee
? Höchstmiete Kurfürstendamm: ca. 230 - 270 EUR / m² (klein)
? Höchstmiete Tauentzienstraße: ca. 340 – 380 EUR / m² (klein)

Alexanderplatz

? Zentraler Einkaufsstandort für den Ostteil der Stadt und konsumiges Pendant zur City West
? Infrastrukturell außerordentlich gut angebunden: 300.000 Passanten täglich
? Komplexe Laufwegsituation: in der Spitze rd. 8.000 Passanten pro Stunde vor NEW YORKER
? Stärke des Standortes resultiert vor allem aus Kaufhausbetrieben wie GALERIA KAUFHOF, PRIMARK, SATURN und TK Maxx.
? Eine Reihe von großvolumigen gemischt genutzten Entwicklungsprojekten ist in der Umsetzung bzw. soll in den nächsten Jahren realisiert werden: Covivo, Hines-Tower, Alexander Tower, Haus der Statistik Bebauung, Signa-Grundstück u.a.
? Neue Mieter: Depot
? Höchstmiete: ca. 230 - 270 EUR / m² (klein)

Friedrichstraße

? Maßgebliche Einkaufslage im Bezirk Mitte, die allerdings zunehmend unter Druck ist
? Frequenz: gut 3.000 Passanten pro Stunde, ist in den letzten Jahren merklich gefallen
? Wichtigste Betriebe: Galeries Lafayette, ZARA, Kulturkaufhaus Dussmann
? Erheblicher Restrukturierungsbedarf, u.a. in den Quartieren 205 und 206
? Entwicklungspotenzial im Südabschnitt am Checkpoint Charlie
? Neue Mieter: Aldi, Budnikowsky, Frittenwerk, Brewdog
? Höchstmiete: ca. 110 - 140 EUR / m² (klein)

Wilmersdorfer Straße

? Einzige echte Fußgängerzone in City-Lage
? Gute Frequentierung: rd. 5.000 Passanten pro Stunde
? Vor allem Kunden aus dem Kerneinzugsgebiet
? Angenehme Aufenthaltsqualität durch einige etablierte Gastronomiebetriebe
? Umfassende Umstrukturierung der Wilmersdorfer Arcaden wurde zwar abgeschlossen, aber Lage ist unter Druck
? Neue Mieter: IRIC-E-Zigaretten, The Alley
? Höchstmiete: ca. 60 - 75 EUR / m² (klein)

Schlossstraße

? Wichtigste Einkaufsstraße im kaufkraftstarken Südwesten
? Frequenz: rd. 5.200 Passanten pro Stunde
? Auf der Westseite vier große Einkaufszentren
? Stabilisierung der Mieterlöse nach Rückgang wegen Flächenüberangebot, Nachfrage stabil
? Umfassend umstrukturiertes Forum Steglitz wird mit Nahversorgungsausrichtung in Kürze eröffnet.
? Auch Boulevard Berlin soll strukturell optimiert werden.
? Neue Mieter: Globetrotter (Relocation), 25 hours Store, Rituals, Maloa
? Höchstmiete: ca. 80 - 95 EUR / m² (klein)

Hackescher Markt

? Trend- und Szenemeile für den jungen nationalen und internationalen Einzelhandel
? Frequenz: rd. 7.500 Passanten pro Stunde, ist generell ‚on the rise‘
? Neue Marken eröffnen bevorzugt in diesem lebendigen Stadtquartier.
? Neue Mieter: Maria Black, Lola + Bymba, Klar Seifen, WRSTBHVR, Polestar Lynck & Co., Cowboy, Maje, Sandro, House of Schwarzkopf, Juwelier Altherr, No cosmetics
? Höchstmiete: ca. 105 - 120 EUR / m² (klein)

Auch in dem internationalen Retail-Hot Spot Berlin haben im Gefolge vom Lockdown und der Corona-Krise die Höchstmieten lageübergreifend abgenommen. Und zwar gegenüber dem Vor-Corona-Niveau in einer beachtlichen Bandbreite selbst in der absoluten Toplage Tauentzienstraße zwischen -5% und -15 %. Besonders harsch fällt der Mietpreisrückgang auf der Friedrichstraße aus, der hier mindestens 30 % ausmacht.






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