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17.06.2021 Festgeldzinsen erreichen neuen Tiefststand – Zinswende nicht in Sicht

Die Inflation nimmt in ganz Europa an Fahrt auf – in Deutschland stieg die Inflationsrate im Mai 2021 auf 2,5 Prozent, der höchste Wert seit 2011. Doch die Zinsen für Spareinlagen bewegen sich nicht aufwärts, das Gegenteil ist der Fall. Dabei erreichten die Sparquote und das Geldvolumen der Deutschen zuletzt ebenfalls neue Rekordhöhen – ganz zum Verdruss der Retail-Banken. Auf ihnen lasten die Kosten der Überliquidität, die sie zum Teil in Form von Negativzinsen an ihre Kundschaft weitergeben. Das jüngste BGH-Urteil zu den AGB-Änderungen nach dem Motto “Schweigen ist Zustimmung” stellt diese Praxis in Frage: Der Bundesgerichtshof (AZ XI ZR 26/20) hat rückwirkend zum 1. Januar 2018 entschieden, dass diese Klauseln im Zusammenhang mit Preiserhöhungen und Verwahrentgelten in Form von Negativzinsen ungültig sind – was die Banken hohen Verbindlichkeiten aussetzt, geschätzte 300 Millionen Euro allein für die Deutsche Bank.*

Während die Menschen sich zunehmend um eine Geldentwertung sorgen, betrachtet die Europäische Zentralbank (EZB) die steigende Inflation nur als vorübergehendes Phänomen – im Gegensatz zu den dauerhaft niedrigen Zinssätzen. So beabsichtigt die Zentralbank, die Zinsen bis zum ersten Quartal 2022 weiter niedrig zu halten. Die neuen EZB-Daten zeigen einen leichten Aufwärtstrend in Europa, doch nicht in Deutschland: Bei den Zinssätzen für Privatkunden herrscht keine Bewegung bei einem Durchschnittszinssatz von 0,06 Prozent und für Geschäftskunden sieht es düster aus, hier sinken die Zinsen um -108 Prozent auf -0,25 Prozent.

Liquiditätsunterschiede: Zinsdifferenz in Europa verringert sich

Der Zinsradar von WeltSparen analysiert die höchsten verfügbaren Zinssätze in den europäischen Märkten sowie die durchschnittlichen Zinssätze der drei größten Banken jedes Landes. Die durchschnittliche Zinsspanne und das Niveau der höchsten Zinssätze verdeutlichen, dass Banken und Sparer Chancen nutzen können, wenn sie ihr Geld grenzüberschreitend anlegen. In der Analyse der Länder werden grenzüberschreitende Zinsangebote wie von WeltSparen.de nicht berücksichtigt.
Matthias Klaubert, Bankenexperte und Director Partner Bank Management & Operations bei Raisin/WeltSparen erläutert, wie das anhaltende Niedrigzinsniveau das Produktangebot für Verbraucher verändert und sich auf das Liquiditätsungleichgewicht im Bankensektor auswirkt.

Zinstrend nach unten: 1-jährige Festgelder in Deutschland erreichen Tiefststand

Viele der drei größten Banken in einigen Staaten Europas – darunter Deutschland, Spanien und die Niederlande – bieten inzwischen überhaupt keine einjährigen Festgelder mehr an. Europaweit fallen bei den Großbanken die Zinssätze, aber bei den Top-Angeboten sinken sie sogar noch schneller. Die höchsten verfügbaren Zinssätze sind in fast allen Ländern der Eurozone gesunken. Der durchschnittliche Spitzenzins für 1-jährige Einlagen rutscht in Deutschland auf einem neuen Tiefststand von 0,523 Prozent. So verringert sich die Zinsdifferenz zunehmend und es wird immer schwieriger, gute Zinsangebote zu finden.

• Nur in Belgien, Italien und Norwegen bieten die großen Banken im Durchschnitt mehr als ein Zehntel Prozent Zinsen, wobei in Italien lediglich eine große Bank überhaupt ein 1-Jahres-Festgeldprodukt anbietet.
• Auch außerhalb der Eurozone bleibt die Situation stabil: Die durchschnittlichen Zinsen in Schweden, Norwegen und Polen halten sich auf Vormonats-Niveau.
• Als einziger Markt in Europa verzeichnet Großbritannien einen leichten Anstieg: Den zweiten Monat in Folge stiegen die Zinsen um mehr als ein Zehntelprozent

1-Jahres-Festgelder rutschen in der Eurozone unter die 1-Prozent-Marke

Innerhalb der Eurozone liegen die höchsten 3-Jahres-Zinssätze nur in Italien über einem Prozent, während alle 1-Jahres-Top-Zinsen unter diese Schwelle gesunken sind. Außerhalb der Eurozone haben alle untersuchten Länder relativ hohe 3-Jahres-Spitzensätze von deutlich über einem Prozent und 1-Jahres-Sätze nahe oder sogar über einem Prozent.

• In Deutschland, Belgien und Irland hat sich der Abstand zwischen den 1- und 3-jährigen Spitzenzinsen noch weiter verringert und liegt nun bei oder unter einem Zehntelpunkt.
• Norwegen, Schweden und Italien weisen unter den größten europäischen Märkten weiterhin die höchsten 1- und 3-jährigen Festgeldzinsen auf, das Vereinigte Königreich folgt dicht dahinter.
• Italien verteidigt den hohen Durchschnittswert von 1,575 Prozent für die besten 3-Jahres-Zinsen.
• Die besten verfügbaren 3-Jahres-Festgeldzinsen sanken fast in der gesamten Eurozone, vor allem in Deutschland, Spanien, Portugal, den Niederlanden und Irland.

EZB-Daten: Abwärtsbewegung bei Zinsen für Privatkunden im Jahresvergleich

Die durchschnittlichen Zinssätze im Privatkundengeschäft liegen in 15 Ländern Europas weiterhin bei oder unter 0,2 Prozent. Im letzten Jahr wiesen einige Märkte deutliche Schwankungen auf. Italiens durchschnittlicher Zinssatz fiel von 1,55 Prozent im letzten März, vor Beginn der Corona-Pandemie, auf zuletzt 0,82 Prozent. Das Vereinigte Königreich fiel von 1,04 Prozent auf heute 0,27 Prozent, Frankreich von 0,76 Prozent auf 0,41 Prozent und Polen von 1,2 Prozent im letzten Jahr auf aktuell 0,19 Prozent.

Von den größeren Volkswirtschaften Europas widersetzte sich nur Schweden diesem Trend: Der durchschnittliche Zinssatz für Privatkunden stieg von 0,15 Prozent im letzten Jahr auf aktuell 0,42 Prozent. Belgien konnte den Zins-Durchschnitt sogar mehr als verdoppeln, allerdings nur auf einem niedrigen Niveau, von 0,09 Prozent auf aktuell 0,21 Prozent.

Privatkunden

• In Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Schweden erhöhten sich die durchschnittlichen Zinssätze leicht um zwei bis sechs Basispunkte.
• In Deutschland blieb der Durchschnittswert von 0,06 Prozent unverändert. Auch in Italien (0,82 Prozent), Spanien (0,01 Prozent) und Griechenland (0,16 Prozent) waren die durchschnittlichen Zinsen stabil.
• Italien bleibt mit einem hohen Durchschnittszins von 0,82 Prozent ein Ausreißer unter den Volkswirtschaften der Eurozone, mit Ausnahme der Niederlande, wo die EZB-Berechnung spezielle Bausparprodukte beinhalten.

Geschäftskunden verlieren doppelt durch Inflation und Negativzinsen

Zusätzlich zum Druck der steigenden Inflation sehen sich Unternehmen in 22 europäischen Ländern mit Zinssätzen von durchschnittlich unter 0,1 Prozent für ihre liquiden Mittel konfrontiert. Der durchschnittliche Zinssatz für Unternehmen in der Eurozone liegt mit 0,18 Prozent nur wenig höher. Von Negativzinsen betroffen sind Unternehmen in Deutschland, Spanien und den Niederlanden mit durchschnittlichen Zinssätzen zwischen -0,23 Prozent und -0,29 Prozent. Das Schlusslicht bildet Irland mit durchschnittlich -0,43 Prozent für Unternehmenseinlagen. Für deutsche Unternehmer doppelt bitter: Die Sparzinsen sind erneut massiv um 108 Prozent zum Vormonat gesunken, und das bei einer steigenden Inflation.

• Unternehmen in zehn europäischen Ländern sind mit negativen Zinsen auf ihre Einlagen konfrontiert, darunter Deutschland, Österreich, die Niederlande, Irland und Spanien.
• Weitere zwölf Märkte – darunter Frankreich, Großbritannien und Schweden – verzeichnen durchschnittliche Zinssätze für Unternehmen von unter 0,1 Prozent.
• Von den westeuropäischen Volkswirtschaften hat nur Italien mit 0,31 Prozent einen wettbewerbsfähigen Durchschnittszins. Estland und mehrere osteuropäische Märkte bieten Unternehmen ebenfalls eine durchschnittliche Rendite.

Kommentar von Matthias Klaubert, Director Partner Bank Management & Operations bei Raisin/WeltSparen:

Banken stehen in diesem Jahr vor besonderen Herausforderungen im Liquiditätsmanagement. Sie wissen zwar, dass ihr Aktivgeschäft mit dem Rückgang der Pandemie wieder auflebt, jedoch mit der Unsicherheit, wann und in welchem Umfang.

Der Anstieg der Inflation in den letzten Monaten verstärkt zudem den Druck auf Bankkunden – Privat- wie Firmenkunden –, Lösungen zu finden, die ihre Verluste reduzieren, wenn nicht sogar Rentabilität bieten. In mehreren großen Märkten der Eurozone führen die größten Banken zunehmend Negativzinsen für Geschäftskunden und Privatkunden ein, und dies bereits für kleinere Guthaben. In Deutschland, den Niederlanden und Spanien sind nach unseren Recherchen viele Großbanken so überliquide, dass sie ihren Kunden die beliebten 1-jährigen Festgeldprodukte erst gar nicht mehr anbieten.

Gleichzeitig sehen wir während der Pandemie eine Dynamik in bestimmten Wirtschaftsbereichen, zum Beispiel im Tech-Sektor, und einen starken B2B-Bankenmarkt, um diese Branchen zu bedienen. Spezialisierte Banken, die an diesem Wachstum partizipieren, benötigen zunehmend Liquidität, die zur Zeit größtenteils bei den großen Endkundenbanken gebunden ist. Höhere Margen ermöglichen den spezialisierten Banken aber, über den Zinssatz mit den großen Banken zu konkurrieren, um die benötigten Mittel – beispielsweise für die Kreditvergabe an Unternehmen – zu erhalten.

In Anbetracht der drohenden Inflation – auch wenn diese aus meiner Sicht überbewertet wird – erwarten die Verbraucherinnen und Verbraucher Sparoptionen, die ihnen helfen, den potenziellen Wertverlust ihres Geldes zu mindern. Das anhaltende Niedrigzinsumfeld macht es Banken, die Liquidität benötigen, leichter, sich bei solchen Kunden zu positionieren. Wenn wir uns die europäischen Zinsmärkte ansehen, bieten Länder wie Deutschland, die Niederlande und Spanien sehr kostengünstige Refinanzierungsoptionen aus Bankensicht und gleichzeitig für Endkunden attraktive Angebote.





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