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12.03.2021 Mit Kanonen auf Spatzen? EZB beschleunigt Anleihekäufe

Schon im Vorfeld der EZB Zinssitzung herrschte Nervosität: Nachdem zuletzt sowohl die Renditen der Staatsanleihen als auch die Inflationsraten stark stiegen, meldeten sich mehrere EZB Ratsmitglieder besorgt zu Wort. Sie forderten eine entschiedene Bekämpfung dieser Entwicklung – mit stärkerer Inanspruchnahme des Pandemie-Notfallprogramms PEPP oder sogar dessen Aufstockung. EZB-Präsidentin Christine Lagarde beugt sich dem Handlungsdruck in der Notenbanksitzung vom März, indem sie das Tempo der Anleihekäufe ankurbelt. Ein größerer Teil der noch ungenutzten rund eine Billion Euro soll im nächsten Quartal deutlich schneller in den Markt gepumpt werden als zuletzt geschehen.

Renditeanstieg der Staatsanleihen: Gefährdung für die Wirtschaft oder „Zuckung in der Zinskurve“?

Eine Entscheidung, die Michael Neumann, Vorstandsvorsitzender des Finanzdienstleisters Dr. Klein, nicht nachvollziehen kann: „Der Renditeanstieg der 10-jährigen Staatsanleihen um 0,3 Prozentpunkte ist im historischen Kontext verschwindend gering. Und immer noch rentierten die Anleihen negativ – eine absolute Ausnahmesituation in den letzten Jahrzehnten. Was wir gesehen haben, ist lediglich eine Zuckung in der Zinskurve und keine besorgniserregende Entwicklung. Dass die EZB auf diese marginale Schwankung so dezidiert reagiert, halte ich für übertrieben – Christine Lagarde lässt sich meines Erachtens zu sehr von den Markterwartungen treiben. Statt mit Kanonen auf Spatzen zu schießen, hätte sie Ruhe bewahren und weiter ihr Inflationsziel fokussieren können.“

Für den Ruf nach immer weiteren EZB-Hilfen hat Michael Neumann von Dr. Klein nur wenig Verständnis. „Die Zinsen sind immer noch so niedrig“, konstatiert er, und fordert: „Anstatt ständig mit dem Finger auf die Notenbanken zu zeigen, müssen die Staaten irgendwann auch mal mit Fiskalpolitik und Reformen etwas für den Aufschwung tun. Denn die EZB hat mit der Geldwertstabilität eigentlich einen gänzlich anderen Auftrag und mit einer angestrebten Inflation von aktuell nahe zwei Prozent ein ganz anderes Ziel.“

Auswirkung der Entwicklung auf die Immobilienfinanzierung

Während Verbraucherkredite stärker vom Leitzins beeinflusst werden, hängen die Konditionen für Immobilienkredite eher von der Rendite der Bundesanleihen ab. Mit deren Anstieg sind in den letzten Wochen auch die Baufinanzierungen teurer geworden – im Schnitt um rund 0,2 Prozentpunkte bei 10-jähriger Zinsfestschreibung. Der Bestzins bei einzelnen regionalen Banken ist laut Dr. Klein davon nicht betroffen und liegt weiterhin bei 0,44 Prozent. Trotz der aktuellen Ankündigung der EZB hält Michael Neumann tendenziell eine Fortsetzung dieser Entwicklung für möglich: „Die jetzige temporär beschleunigte Nutzung des bereits eingepreisten PEPP-Programms kann zu Schwankungen bei den Baufinanzierungszinsen führen. Aber immer noch beherrscht die Erwartung einer steigenden Inflation die Märkte. Daraus resultierend rechnen sie mit weiterhin steigenden Anleiherenditen und mit anziehenden Zinsen. Ich kann mir vorstellen, dass die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe in naher Zukunft wieder ins Positive dreht.“ Zwar werde das auch die Immobilienfinanzierungszinsen beeinflussen – mit einem massiven Zinsanstieg rechnet Michael Neumann dennoch nicht: Ihm zufolge werde die noch lange andauernde Intervention der EZB von den Marktteilnehmern zu sehr ausgeblendet. Deren massive Anleihekäufe dämpften die Aufwärtsbewegung noch auf lange Sicht ab.

Inflation und Zinsanstieg – Vorreiter USA?

In der heutigen Zinssitzung passte Christine Lagarde die offizielle Inflationsprognose der EZB nach oben an und aktualisierte sie für dieses Jahr von 1 auf 1,5 Prozent. Bekanntlich sind Prognosen schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen, und auch bei der Teuerungsrate gehen die Vorhersagen auseinander. Michael Neumann will bei diesem Thema des Deutschen beliebtes Schreckgespenst nicht wieder aufleben lassen: „Sicher gilt es, die Inflation im Blick zu behalten. Aber momentan sehe ich hier keine unmittelbare Gefahr. Ja, die Teuerungsrate ist zuletzt in Deutschland und im Euro-Raum stärker gestiegen als prognostiziert, und ja, es gibt weiteres Aufwärtspotenzial, zumal die Vergleichswerte aus 2020 sehr gering sind. Aber ich bin ausgesprochen skeptisch, was die Nachhaltigkeit dieser Steigerungen betrifft.“ Er geht im Jahr 2022 von einer gedämpften Dynamik im Vergleich zu diesem Jahr aus. Eine Straffung der Geldpolitik – und daraus resultierend signifikant steigende Zinsen – seien daher nicht zu erwarten.

Besonders mit Blick auf die USA nehmen sich die Inflationsaussichten in Europa bescheiden aus. Die Vereinigten Staaten sind in vielen wirtschaftsrelevanten Punkten voraus, die neue Regierung arbeitet so lautlos wie effizient: Nicht nur gehen die Impfungen dort mit einem rasanten Tempo voran, auch ein riesiges Konjunkturpaket in Höhe von knapp zwei Billionen Dollar ist gerade verabschiedet. Infolgedessen ist hier mit einem deutlich stärkeren Inflationsanstieg zu rechnen. Die Fed hat allerdings ihre Strategie bereits letztes Jahr neu ausgerichtet und wird Inflationsraten von über zwei Prozent zulassen, ohne sofort zu reagieren. „Solange der Arbeitsmarkt nicht Richtung Vollbeschäftigung tendiert, hat die Fed keinen Grund, von ihrer Aussage abzuweichen: keine Zinserhöhung vor 2023“, schätzt Michael Neumann.

Tendenz Entwicklung Bauzinsen
Kurzfristig: steigende Volatilität möglich
Mittelfristig: schwankend seitwärts





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